Diverse – Für wen wir singen
In Deutschland hat das politische Lied eine lange, wenn auch durch die Nazi-Ära unterbrochene Tradition, die bis ins Mittelalter und zu den Minnesängern zurückreicht. Regelrecht zum Boom avancierte in Worte und Noten gefasster Protest aber erst durch die beiden Galionsfiguren der neuen Gegenkultur: Bob Dylan und Joan Baez. Als Kaderschmiede deutschen Nachwuchses kristallisierten sich die von 1964 bis 1969 veranstalteten Festivals auf Burg Waldeck heraus, eine alljährliche Veranstaltung, die erst kürzlich in einer 10-CD-Box (siehe ME 08/08) von Bear Family Records gewürdigt wurde. Von gleicher Firma stammt auch eine vierteilige, mit jeweils drei CDs bestückte Retrospektive namens für wen wir singen, abermals kompiliert von Michael Kleff. Mit 245 Songs und Uber88o Minuten Spielzeit wird der Entwicklung der Liedermacherin Deutschland nachgespürt. Volume I fahndet nach den Ursprüngen und der Wiederentdeckung von Bänkelliedern, Deutschfolk und Volkssängern, darunter Reinhard Mey, Christof Stählin. Dieter Süverkrüpp, Hannes Wader, die City Preachers sowie der unnachahmliche Franz Josef Degenhardt. Legendär natürlich sein Klassiker“Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ aus dem Jahre 1965. Unglaublich auf den Punkt aber auch das drei Jahre später erschienene, wie eine Andacht inszenierte „Für wen ich singe“, das auch den Titel der Reihe inspirierte. Auf die Troubadoure des Mittelalters beziehen sich Formationen wie Ougenweide, Elster Silberpflug, Zupfgeigenhansel und Liederjan. In der zweiten Ausgabe stehen der „Heiße Herbst“,“Liedermacher, die von einer besseren Welt träumen“ und die Kollegen der DDR-Szene im Mittelpunkt. Herausragend hier: Hannes Waders „Der Rattenfänger“, Reinhard Meys „Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars“, Konstantin Weckers „Willy“, Manfred Krugs „Auf der Sonnenseite“ und der wenig später in den Westen ausgewiesene spätere „Hair“-Darsteller Reiner Schöne mit „Pauls Traum“. Für Teil drei kramte Michael Kleff in weiteren Archiven und wurde fündig bei „Heimat- Dialekte und Regionen“, „Szene Österreich“ und weiteren Beispielen aus der DDR. Hochkarätig die 20 Titel aus Österreich mit u.a. Erika Pluhar, Georg Danzer, Wolfgang Ambras, Arik Brauer sowie dem unvergleichlichen Georg Kreisler, der mit morbidem Charme schon 1963 die Migrationsproblematik in „Der Ausländer“ analysierte. Eher als Gemischtwarenladen für Unangepasstes präsentiert sich die finale vierte Kopplung: Da hebt Udo Lindenberg seinen „Daumen im Wind“, führt Ingo Insterburg seine nicht enden wollende Amouren-Liste in „Ich liebte ein Mädchen“ vor, trifft Ulrich Roski „Auf des Pudels Kern“, sinnieren Schobert & Black über „Fortuna,Fummel und Sohn“, und Inga & Wolf sagen: „Gute Nacht, Freunde!“
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