Episoden aus der Gosse

Auf einmal spricht alle Welt über Quentin Tarantino. Man nennt ihn zu Recht den heißesten Regisseur Amerikas. Man amüsiert sich darüber, daß er neulich in Cannes den langweiligen Kunstfilmern die Goldene Palme vor der Nase weggeschnappt hat. Und man diskutiert erregt die Frage, ob die exzessive Gewalt und der bösartige Witz in seinen Werken überhaupt zumutbar seien. Alles schön und gut. Doch es reicht nicht, ein bißchen über Tarantino Bescheid zu wissen. Man muß seinen neuen, meisterlichen Film „Pulp Fiction“ gefälligst auch sehen. Und nachdem zuvor sein Debüt, das Gangster-Kammerspiel „Reservoir Dogs“, und der von ihm geschriebene Sex & Crime-Spaß „True Romance“ an den deutschen Kinokassen jämmerlich eingingen, bleibt jetzt die Hoffnung, daß der Tarantino-Hype endlich auch bei uns auf fruchtbaren Boden fällt.

Gründe, warum es wahrhaft kriminell wäre, „Pulp Fiction“ zu versäumen, gibt es zuhauf. Da ist zunächst einmal das überraschendste Schauspieler-Comeback seit Ewigkeiten zu bestaunen, lohn Travolta, der von jedermann längst abgeschriebene Ex-Disco-Hüpfer, ist in der Rolle eines heroinabhängigen Auftragskillers wieder da. Ihm zur Seite stehen ein Dutzend weiterer Top-Leute, die man nie besser sah. Bruce Willis hat als lakonischer, nicht lange fackelnder Boxer mehr Charisma als in all seinen früheren, stupiden Hollywood-Hits zusammen. Nicht minder verblüffend ist Uma Thurman in der Rolle einer verruchten Gangsterbraut Ahnlich wie Anfang des Jahres Robert Altmans „Short Cuts“ ist „Pulp Fiction“ als EpisodenRIm angelegt: Travolta muß einige dreckige Jobs erledigen; ein Date mit Uma Thurman geht schrecklich schief; Willis betrügt einen Betrüger und läuft danach ausgerechnet dem armen Travolta über den Weg – mehr soll hier noch nicht verraten werden.

Mit ungeheurer Kunstfertigkeit hat Tarantino diese verschiedenen Stories verbandelt und sich dabei sogar chronologische Freiheiten erlaubt. Wer zu wem gehört und wer tatsächlich im Hintergrund die Fäden aller Figuren zieht, stellt sich erst nach und nach heraus. Und so prall „Pulp Fiction“ an Überraschungen und bizarren Entwicklungen ist, so vielschichtig sind auch die Stimmungen. Oft liefern sich all die Genre-Gauner, Gossengestalten und Coolness-Kings endlos lange Wortgefechte, die vor schwarzem Humor nur so sprühen. Und auf einmal zieht Quentin Tarantino die Spannungsschraube an und macht seinem Ruf als Provokateur alle Ehre: „Pulp Fiction“ zielt auf den Kopf, schießt in Richtung Bauch und trifft die Lachmuskeln. Alles ist hier vertreten: Witz und Gewalt, Unterhaltung und Intellekt, US- und Euro-Kino, Tragik und Farce-ein echter Tarantino – Film eben.