Funk

Was das Def-Jam-Team Russell Simmons und Rick Ruhin anfaßt, wird zu Gold. Der unerwartet durchschlagende Erfolg von Oran „Juice“ Jones war Grund genug, zwei weitere Soul-Produktionen zu veröffentlichen. Tashan hat zwar keine so aufregende Vergangenheit wie Jones (Jones verdiente früher sein Geld bei Überfällen auf Juwelier-Geschäfte), aber er ist ihm musikalisch haushoch überlegen. CHAS1N‘ A DREAM (Def Jam/CBS 450 158 i) hat sireei credibility durch sparsame, harte Arrangements und lebt von Tashans ausdrucksvoller Stimme, die vom butterweichen Schmalzen bis zum inbrünstigen Brüllen alles kann. Tashan hat etwas zu sagen und formuliert mit seinen Texten, von Martin Luther Kings „Dream“ bis zur Liebeserklärung, schwarzes Lebensgefühl. (5) Etwas farblos wirkt daneben Chuck Stanley, der zwar sehr virtuos mit seiner Stimme umgehen kann, sich aber nicht zwischen Schmuse-Soul und Streetsound entscheiden kann. THE FINER THINGS IN LIFE (Def Jam/CBS 40514 1) ist eine durchaus gelungene Platte, aber da Stanley weder mit dem trockenen Humor von Oran Juice“ Jones noch mit dem Tiefgang von Tashan mithalten kann, wird er sich wohl immer in ihrem Schatten bewegen. (3) Für die Englander kommt die Zukunft des Soul sowieso aus London.

Vor allem mit Tercnce Trent DArbv, einem optisch beeindruckenden Sanger und Songschreiber, der sich musikalisch nicht festnageln lassen will. Über einem satten Go Go-nahen Funkbeat, relaxten Reggaegitarren und einer kochenden Soulband brüllt er mit seiner rauhen Stimme so heftig, daß einem kalte Schauer über den Rücken laufen. DÄrby beschreibt seine Musik als „vom Geist der R &B-Vergangenheii beseel: mit dem Kopf in der Zukunft des Pop“. Nachdem seine Debüt-Maxi „If You Let Me Stay“ (CBS/TRENT T1) schon nach drei Wochen in den englischen Top 40 war, muß man wohl ein Auge auf ihn haben. (5) Junior Giscomhe. einer der Vorkämpfer einer eigenständigen Brit-Soul-Szene, hat die erste Single von Paul Johnson produziert. Johnson gibt sich als Edel-Crooner. hat jedoch genügend Feuer in der Stimme, um die breitflächige Samt-Ballade „When Love Comes Calling“ (CBS 650 337 6) vor dem Absturz ins Lionel-Richie-Syndrom zu bewahren. (4) Juicy, das multiinstrumentale Geschwisterpärchen Barnes, das sich letztes Jahr mit einem extrem spritzigen Debütalbum eingeführt hat, hält an seinem Konzept des tanzbaren Disco-Soul fest. SPREAD YOUR LOVE (CBS 40451-1) beginnt mit schwerem Ur-Groove und schlingert dann zwischen Midtempo-Ballade und Electro-Funk in Richtung Dance-Charts. Die guten Hookline-Ideen sind ihnen leider ausgegangen, aber mit ihrer fröhlichen Lebendigkeit heben sie sich immer noch vom Durchschnitt ab. (4) Durchschnitt. Durchschnitt. Durchschnitt — wie kommen diese Heerscharen mittelmäßiger Sängerinnen zu ihren Plattenverträgen? Und wer verheizt die hervorragenden Stimmen immer wieder an mäßige Produzenten 1 .‘ Donna Allen aus Tampa/Forida hat ihr Debütwerk PERFECT TIM1NG (TSR 530 102) in Miami aufgenommen, hätte aber auch in L.A., Hongkong oder Bottrop arbeiten können. Einheits-Funk aus dem Computer und eine gute Stimme helfen sicher in die Charts, aber nicht viel weiter. Ich habe die Platte nur deswegen immer wieder gehört, weil ich nach der dritten Nummer die erste schon wieder vergessen hatte. (3) Anstatt George Michael zum teuren Duett ins Studio zu holen, hätte man bei Jody Watleys erstem Soloalbum (WEA), lieber in vernünftiges Material investieren sollen. Die Ex-Shalamar-Schönhcit hat nämlich einen sehr reizvollen Lolita-Appeal in ihrer Stimme, der natürlich sofort in Richtung Janet Jackson getrimmt wurde. Die Produzenten Andre Cymone und Bernard Edwards verstehen ihr Handwerk zum Glück so gut. daß bei aller Dancefloor-Zeitgeistreichelei gutes Disco-Futter herausgekommen ist. (4) Mehr Mühe hätte man sich auch hei Jocelyn Brown geben können. Produziert von Jellybean. hält sich ONE FROM THE HEART (WEA 925 445-1) strikt an gängige Muster, was Jocelyns phantastischer Stimme nicht annähernd gerecht wird. (3) Jay King produzierte den Über-Nacht-Hit „Rumors“ vom Time.x Social Club und setzte sich kurz danach mit seinem eigenen Projekt Club Nouvcau ab. Wenn man die beiden Club-Platten vergleicht, wird klar, wer der kreative Motor war. Während der Timex Social Club in einer kreativen Sackgasse steckengeblieben ist, macht Jay Kina auf Club Nouveaus LIFE. LÖVE & PA1N (WEA 925 531-1) frischfröhlichen Fast-Food-Funk mit durchsichtigem, kräftigem Computergroove. Club Nouveau stellt keine Ansprüche und muß deswegen auch keine erfüllen. (4) Lillo Thomas‘ SEXY GIRL (Maxi Capitol V-15283) ist der Typ Song, der einem erst fünfmal in ohrenbetäubender Lautstärke in einer Disco um die Ohren geschlagen werden muß. bis man Gefallen an der schlichten Tanznummer findet. Für das pure Hörvergnügen passiert zu wenig, aber die Hookline des Charmeurs bleibt schmeichelnd hängen. (4) Zu Unrecht vergessen wurde Osiris, der in den späten 7()ern knüppelharten Funk aus den Boxen hämmerte. Auf irgendeinem obskuren Label in Washington hat er ein Album produziert, das seinen früheren kehligen Kraftausbrüchen in nichts nachsteht. Irgendwo zwischen George Clinton. Bar-Kays und Commodores brüllt er heiser verschwitzt über einem erdigen Funk-Inferno mit schweren Slap-Bässen. messerscharf scrubbenden Gitarren und gröhlenden Backgroundchören. Wann WAR ON BULLSHIT (BAAD! LP ATTACK 1) produziert wurde, ist dem Cover leider nicht zu entnehmen. Entweder ist der Mann hemmungslos altmodisch, oder die Scheibe wurde jetzt fünf Jahre zu spät veröffentlicht. Nur die Balladen hätte er besser bleiben lassen. Deswegen bloß: (4) Rare Essence sind eine der heftigsten Go Go-Truppen aus Washington. Ihre LP LIVE AT BREEZES ME-TRO CLUB (Kolossal KA-869495) leidet unter der Bootleg-Tonqualität, die von der Wucht nicht viel übrig läßt. Trotzdem — angenehm relaxter Go Go-Funk mit tobendem Publikum und exzessivem geistigen Diebstahl. Etwas zu relaxt waren die Jungs dann im Studio. Die drei Versionen von „Give It Here“ (Maxi T. T. E. D. TDE 3019-A) reiten uninspiriert auf Go-Go-Klischees herum und zünden nur. wenn man den Pitch ganz hochzieht (LP: 4; Maxi: 3) Auf der D. J.-Weltmeisterschaft in London sprach die ganze Mix-Welt ehrfürchtig von D. J. Jazzy Jeff, der zur Zeit als die Nummer eins an den Plattentellern gilt. Zusammen mit dem Rapper Fresh Prince hat er jetzt seine erste LP eingespielt – ROCK THE HOUSE (Champion CHAMP 1004).

Jazz Jeff kam wegen Studioarbeit nicht zur Meisterschaft und ließ damit den Titel sausen. Auf der LP wirbelt er virtuos über einem leichtfüßigen Beat und beweist einen ausgemacht skurrilen Sinn für Humor. Sein Repertoire reicht von alten TV-Themen über Radiotrümmer bis zur zerhackten Jazzballade. Der fröhliche Sexismus von „Girls Ain’t Nothing But Trouble“ war ja schon in den Charts. (5) Grandmaster Flash hat seine Midlife-Crisis offensichtlich überwunden und legt ein ganz passables Album vor. Hart auf den Punkt gescratcht liefert er auf BA-DOP-BOOM-BANG (WEA 960 723-1) gewohnte Grandmaster-Qualität — funky und aggressiv. (4) Kool Moe Dee hatte mit „Go See The Doctor“ letzten Sommer einen Monster-Rap-Hit. obwohl ihm sein herber Sexismus schwer angekreidet wurde. Auch auf seinem ersten Album (Jive/Teldec HIP 44) gebärdet er sich als chauvinistisches Großmaul. Angesichts seiner Racing-Sonnenbrille. seinem weißen Lederdreß und den schweren Goldketten auf der nackten Brust tut man sich schwer, ihm das als schrägen Humor durchgehen zu lassen. Aber er hat recht — neue Machos braucht das Land. Besonders wenn sie so treibenden, schweren Hip-Hop-Swing produzieren wie Kool Moe Dee. (5)