Helmet – Aftertaste
Eine Expedition durchs dichte Dschungelgehölz: Stampfend bewegt sich die Forschungsgruppe um Grabungsleiter Page Hamilton durchs Buschwerk, taumelt beseelt über sanftmütige Lichtungen und krakeelt beschwingt angesichts überwundener Hindernisse. Seit einigen Jahren schon sind Heimet auf der großen Suche nach dem Glück des brachialen Wohlklangs, kamen beladen mit fetten Beutestücken von ihren Forschungsreisen zurück, veröffentlichten in den vergangenen Jahren u.a. MEANTIME (1992) und BETTY (1994) als Zwischenberichte und arbeiteten weiter an ihrer Theorie, daß man die Schönheit melodischer Ruhe eigentlich nur unter Aufbietung allen möglichen Lärms finden kann. Und AFTERTASTE, das neue Werk, das nach diversen Ankündigungen, Rücknahmen und Umarbeitungen nun doch noch das Licht der Welt erblicken darf, rast fröhlich weiter auf dieser Forschungsreise: Rabiat ratternde Unruhe knallt ungebremst auf die Gesetzmäßigkeiten der Harmonielehre wie ein Dampfstrahl, wilde Explosionen lassen musikalische Strukturen zerbersten wie Nüßlein unterm Hammer, und gläserne Wut zerspringt in zahlreichen, schillernden Prismen. Und was unter all diesen Anfällen schlußendlich zum Vorschein kommt, sind edle, schlichte Rocksongs im Mäntelchen des Dramas. Dabei ist Page Hamiltons Vorgehensweise bei der Komposition – so ähnlich wie diejenige Thurston Moores von Sonic Youth, Steve Malkmus‘ von Pavement oder Les CIaypools von Primus-wesentlich weniger emotional als es den Anschein hat: Er entdeckt geheimnisvolle Wirkungen in der Logik mathematisch präziser Zertrümmerung und widmet sich alsdann liebevoll dem Wiederaufbau, er sucht nach den Fundamenten des Rock und betreibt dergestalt Archäologie mit der Hilfe von pfundweise Sprengstoff. Dabei entstehen Songs mit der geballten Kraft überraschender Entdeckungen: Kleinodien im Schutt (wie das wunderbare ‚Like I Care‘), milde gestimmte Dämonen nach der grausamen Opferung wild zuckender Herzen (wie das entspannte ‚Driving Nowhere‘), die Auflösung in Moll nach dem Unwetter in Dur. Und während sich die Gitarren da eben noch durchs Gewühl jammern, die Bässe nachtreten und die Drums allerlei Weichteile unsanft bearbeiten, breitet sich plötzlich überraschender Wohlklang aus: Chorgesang, schwungvolle Einheiten, stimmiges Liedgut. Jawohl, so ist das: AFTERTASTE ist insgesamt wesentlich verträglicher und bekömmlicher geworden als die Vorläufer.
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