Hildegard Knef – So oder so ist das Leben/Hildegard Knef singt und spricht Tucholsky

Hildegard Knefs fast fünf Jahrzehnte währende Karriere war von zahllosen Erfolgen gekrönt, aber auch von mancherlei Irrläufen. Das im Februar 2002 verstorbene Multitalent ging zwar als erste deutsche Singer-Songwriterin in die Annalen ein, doch ihre außergewöhnlichen Textinhalte fanden zu ihren Glanzzeiten nur beim gesetzten Publikum Anklang. Die Studentenrevolte der sechziger Jahre, die gegen alles, was über 30 Jahre alt war, Ressentiments hegte, die Knef als zu bürgerlich und betulich abtat, verhinderte den künstlerischen Generationenübergriff. Dabei war die kettenrauchende Sängerin, Schauspielerin und Autorin, die auf ihren Tourneen meist die Nacht zum Tage machte, inhaltlich durchaus kontrovers und dabei den sie ablehnenden Straßenkämpfern näher als ihrer kleinbürgerlichen Fanklientel. Ganz unschuldig war die Knef daran nicht: Zwar hatte sie sich in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre künstlerisch freigeschwommen, textete von nun hauptsächlich Evergreens wie „Ich brauch Tapetenwechsel“ und „Von nun an ging’s bergab“. Doch der Ruf, den die Knef zu Beginn ihrer Sangeskarriere mit publikumswirksamen Schlagern und Moritaten wie „Eins und eins das macht zwei“ und „Es war beim Ball Pare“ bekam, blieb an ihr haften. Die beiden erstmals auf CD erhältlichen, abermals von Telefunken-Labelhüter Wolfgang Michels tief aus den Archiven zutage geförderten Alben So oder so ist das Leben (3) und Hildegard Knef singt und spricht Tucholsky (5) stehen exemplarisch für die künstlerische Diskrepanz der Knef. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass mit diesen Wiederveröffentlichungen ausgerechnet das Knef’sche Debüt und ihre vierte Langspielplatte – jeweils um zahlreiche Bonustracks erweitert – in einem Wurf erscheinen. Während sich auf dem Erstling ein – zugegeben geschmackvolles – populistisches Potpourri aus Gassenhauern wie „Ich hab Heimweh nach dem Kurfürstendamm“, „C’est Si Bon“, Marlene-Dietrich-Standards und raren Singles durchaus seine Reize entwickelt, ist das inhaltlich anspruchsvollere literarische Kleinkunst-Cabaret von Hildegard Knef singt und spricht Tucholsky künstlerisch um Längen besser. Mit ihrer rauchigen Stimme haucht Hildegard Knef – zwischen Chanson und Rezitation oszillierend – den Reimen von Tucholskys unnachahmlichen Couplets Leben ein. Als Bonus gibt es die eindringliche Bertolt-Brecht-Interpretationen von „Kleines Solo (Einsam bist du sehr alleine)“, „Ilse“, „Seeräuber-Jenny“, „Zuhälterballade“ und „Macky Messer„.

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