Home Of The Lame über Circle Jerks
Die frühen Tage meiner Entwicklung als Musikhörer waren geprägt vom kompromisslosen Vergöttern eines bestimmten Musikers oder einer bestimmten Band und dem gleichzeitigen ebenso kompromisslosen Ablehnen jeglicher anderer Musik neben dem jeweiligen Idol. In meinem Universum gab es keinen Platz für zwei Interpreten gleichzeitig. So war mein Leben im Alter von 5 bis 10 ausschließlich den Beatles reserviert, es gab für mich nichts anderes. Sie wurden abrupt von Udo Lindenberg abgelöst, als ich 1983 ein Livealbum des Mannes im Plattenregal meiner Mutter entdeckte. Als ich vier Jahre später ans Gymnasium kam und mich mit älteren skateboardfahrenden Mitschülern anfreundete, die mir bald regelmäßig Mixtapes mit ihrer Lieblingsmusik schenkten, konnte Lindenberg sehen, wo er blieb. Er war mir vollkommen egal. Mir waren die Augen geöffnet worden.Eines dieser Tapes enthielt zwei Platten einer Band, über deren Namen ich mir sehr viel Gedanken machte, dessen Bedeutung ich aber nicht richtig kapierte. Ich wusste wohl, dass er irgendwie versaut war, was ihn umso interessanter machte: Circle Jerks. Die beiden Alben waren sehr unterschiedlich, als erstes VI und danach GROUP SEX. Dass GROUP SEX schon 1980 entstanden war und dass zwischen dem Erscheinen dieser zwei Alben sieben Jahre lagen, war mir nicht bewusst, sowieso wusste ich nichts weiter über diese Band als das, was ich auf der Kassette hörte. Ich muss gestehen, dass mich GROUP SEX mit seinem rauen Sound und den kurzen fragmentartigen Songs erst nicht so sehr begeistern konnte wie der slicke poppige Rock auf VI. Vielleicht war mein Ohr doch noch mehr an den Gitarrensound eines Hannes Bauer gewöhnt, als an den Minimalismus einer Punkrockproduktion. Wie auch immer, es traten weitere Bands in mein Leben, ich wurde versorgt mit Minor Threat, Dead Kennedys, Black Flag und Adolescents. VI hatte ich schnell überhört. GROUP SEX hingegen wurde mein Lieblingsalbum.Ende 1987 spielten Circle Jerks mit Gang Green in der Hamburger Markthalle und die Skateboardfahrer fuhren hin. Ich hätte alles gegeben, mitzukommen, allein, ich durfte nicht. Meine Eltern wollten mich nicht mit ein paar zweifelhaften älteren Typen die 150 Kilometer von Hannover dorthin und nachts wieder zurück fahren lassen. Ich bekam ein Poster und ein T-Shirt mitgebracht. Das T-Shirt habe ich heute noch. Ich kann nicht behaupten, dass mich die Texte auf dieser Platte damals sonderlich beschäftigt hätten. Sicherlich habe ich die Aussage eines Songs wie ”I Just Want Some Skank” nicht kapiert, als auch mir über die politische Vertretbarkeit oder Unvertretbarkeit einiger Zeilen keine Gedanken gemacht. Klar ist aber, dass ein Song wie ”World Up My Ass” allein durch den Kraftausdruck im Titel zu meinen Hits gehörte.Es reichte nicht, GROUP SEX auf Kassette zu haben. Ich kaufte mir meine eigene Kopie des Albums. Erst da wurde mir bewusst, wie kurz es war: ”Back Against The Wall” ist mit einer Minute dreißig der längste der vierzehn Songs, das gesamte Album kommt wohl auf wenig über dreizehn Minuten. Das Tempo von GROUP SEX ist nach wie vor atemberaubend. Die Platte stürmt an einem vorbei, Song auf Song, ohne sich mit komplizierten kompositorischen Konstrukten aufzuhalten. Es ist aus einem Guss und die dreizehn Minuten sollten am Stück genossen werden. Laut. An einem warmen Frühlingstag reiße ich nach wie vor gerne alle Fenster auf und höre mit den Nachbarn zusammen dieses Album. Von Anfang bis Ende.Nachtrag: Zufällig stieß ich, nachdem ich diesen Artikel begonnen hatte, letzte Woche in der Schuhabteilung eines großen Hamburger Supermarktes auf das ”Circle Jerks”-Modell von Vans, bedruckt just mit dem Coverartwork der GROUP SEX. Sie hatten aber leider keines in meiner Größe… Felix Gebhard ist der Kopf hinter dem Singer/Songwriter-Projekt
. Zuletzt hat er bei Grand Hotel van Cleef das Album SING WHAT YOU KNOW veröffentlicht. Er geht demnächst auf
durch die deutschsprachigen Länder.
Felix Gebhard – 14.05.2008
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