Hot Chip, München, kleine Eiserhalle

So geht die Regel: Elektronische Musik erfährt in ihrer Liveaufführung selten eine nennenswerte Bereicherung (vielmehr geht ihr oft einiges ab). Klar, das ist wie fast alles in der Welt zuerst einmal eine Frage der Perspektive. Wer bevorzugt vor DJ-Kanzeln herumtobt, kriegt schon beim Vorprogramm von Basictrack-Elektriker Letter G ein bisschen mehr geboten: Der Mann schubst nicht nur die Maus, er rockt auch noch mit dem heftig wackelnden Oberkörper. Schon werfen ein paar Leute zumindest eine Hand in die Luft, und sie johlen, wenn die Dynamik des kurzen Laptop-Sets zunimmt. Lustig. Unsereins, von der frühesten Turnhallennachwuchsfestivalpike an mit Liveaction und Liveklischees groß geworden ist, kräuselt da höchstens die Nase.

Unsere Pausentaste lösen wir erst, wenn die Hauptband auf der Bühne steht. Und da, ja, jetzt … klack … kommen sie geschlurft. Vorsätzliche Nichtstyler: Dieses ein wenig verkniffene, vermutlich aber einfach nur hochkonzentrierte Männlein Alex Taylor und sein kolossaler, vor allem kolossal sympathischer Partner Joe Goddard gehen in Segelschuhen, halblanger Aktivurlauberhose, Brille fernab von Fielmann, Frisuren fernab vom nächsten „Schnittpunkt“. AI Doyle, der neben seiner Gitarre einige Brocken Deutsch mitgebracht hat, kickt gar den zeitlosen Feiertags-Bluesrockerstyle – Blue Jeans, weißes T-Shirt, Struwwelhaar kontra hohe Stirn. Das onkelige Gesamtbild mag gar nicht als Signal gemeint sein, aber es kommt als solches an: Schaut, wir sind eine Band und keine Discorocklaune. Und Hot Chip wissen: Von einer Band verlangen die Leute, dass was passiert auf der Bühne. Besser noch, das kann man spüren: Hot Chip wollen selbst, dass was passiert. Wollen spielen. Haben Bock. Und demonstrieren das beim Opener „Shake A Fist“ mit einem handgeklopften percussiven Kleingewitterintro höchst demonstrativ. Die Interims-Sambistas haben das Ding mit der Faust nicht zufällig an die Spitze ihres knapp eineinhalbstündigen Sets montiert – es komprimiert fast alle Qualitäten ihres trotz mancher Gegensätze mitreißend fließenden Tuns auf durchlauferhitzende fünf Minuten. Erst der an allen Extremitäten ziehende Polyrhythmus, dann der vertrackte, aber bis kurz vor Beach Boys hochmelodische Pop und dann „the game is called ,sounds of the Studio'“ – die wunderbar alberne Nummer mit dem Technoalarm. Alles, bis auf die Beatbox, handgespielt und handgedreht. Goddard, an seinem Synthesizer quasi der Livebassist, hat nicht von ungefähr eine zweistöckige Box im Rücken. Die macht seinen analogen Bauchvibrator erst zum Monster.

Überhaupt: der Sound. Nein, er ist nicht perfekt, pulsiert nicht so klar wie auf Made in the dark aber er ist perfekt für das, was Hot Chip live (sein) wollen. Auch wenn mancher pedantische Elektrolurch vielleicht gerne mal mit dem Handfeger durch die Arrangements huschen würde. Und auch wenn Taylors Stimme in den Wipfeln der höheren Noten etwas schwankt. Hot Chip ziehen ihr schwitziges Liveding bis zur Gospeleinlage, bis zum Balladen-Finale („Made In The Dark“, „The Privacy Of Our Love“, „Crap Kraft Dinner“), bis zum Fleetwood-Mac-Kurzcover („Everywhere“) durch. Bis Alex Taylor endlich selbst fröhlich und gelöst über die Bühne springen kann. Längst johlen wir alle. >»www.hotchip.co.uk