Jamie T – Kings & Queens
Punk. Pop. Folk. HipHop. Ein rasantes Crossover-Album des Wortverschlingers.
Schöne Performance, haben unsere Analysten soeben ausgerechnet. Zweieinhalb Jahre nach Veröffentlichung spricht immer mehr dafür, Jamte Treays PAN1C PRE-VENTION in eine Reihe britischer Granaten-Debüts zu stellen – mit PLEASE PI.EASF. ME von den Beatles (1963), dem ersten Clash-Album 1977 und LEISURE von Blur (1991), um nur drei Bands zu nennen, die Jamie T nicht ganz gleichgültig sein dürften. Als er seine Songs schrieb und aufnahm, lebte er noch bei den Eltern, als seine erste Single „Sheila“ erschien, war er 20. PAN1C P1U-VENTI0N, benannt nach einer Entspannungs-CD,die Mutter Tihremvon Angstattacken heimgesuchten Sprössling früher einmal geschenkt haben soll, erzählte von den Vorstadt-Kids, mit denen Jamie so rumhing, von Prügeleien und Besäufnissen, von den Pornomagazinen, die die Alten besser nicht sehen – unterstützt vom Bauchweh seines Basses und dem tiefen Rumoren aus dem Laptop. Alles in allem ein Stück Jugendkultur, das Feuilletons wie Fachmagazine auf den Plan riet, den straßenschlauen Poeten investigativ zu erklären. Richtig angekommen war dieser im Pop-Betrieb noch nicht, auf seinen Konzerten rutschten Jamie T Herz und Stimme schon mal aus den Songs, seine erste Welt-Tour bilanzierte er mit den Worten: „Ich fühle mich wie ein Vietnam-Veteran.“
Zuletzt hatte Jamie T sich in eine „Akustikphase“ verabschiedet. Der Junge aus Wimbledon, der Worte so sicher zu verschlingen weiß, dass selbst native Speakers sich mühen müssen, sie zu verstehen, begann, die Welt in einen Gitarrenkoffer zu packen. Er schrieb Folksongs, die sich aus dem Wunsch speisten, im reifen Alter von nunmehr 23 vor Bob Dylan niederzuknien. Zwei Songs auf KINGS & QUEENS verweisen jetzt auf diese stillen Tage, und sie zählen zu seinen Allerbesten: „Emily’s Heart“ (geschlagen und gestrichen) und „Jilly Armeen* (gezupft und gepfiffen), die in der Tradition der schwarzen Jamie-T-Mädchentieder stehen. „A hottle of wine and old 45s, a rifle in the corner that her grandfather left when he died“, beginnt Jamie die Geschichte von Emily und lässt seine Gedanken um tödliche Spiele sausen the art ofa broken heart. In „Jilly Armeen“ hören wir, wohin das alles führt: Nein, Jamie T wird keine Songs mehr über Mädchen schreiben, die seine Gefühle nicht zu erwidern wissen. Der Blues dieser Tage mag in die tieferen Schichten der Platte gesickert sein, von vorne betrachtet ist KINGS & QUEENS ein dunkel flackerndes Crossover-Pop-Album geworden, dessen Autor keinen Moment lang vergisst, das Publikum bei Laune zu halten. Wie das geht, demonstrierte vorab die Single „Sticks ‚N‘ Stones“, die auf Clash-Gitarren angerauscht kommt und hintenrum von einem Männergesangsveretn so richtig schön gesungen wird. Ein kurzer Blick in die Spirale der Frustration, die irgendwo zwischen Underage-Saufen und gebrochenen Beziehungen anfängt. Präzise in Wort und Sound -Jamie T beherrscht die höhere Charts-Mathematik. Die elf neuen Stücke demonstrieren auch, dass der Bass-Boy aus den Neighborhoods einfach zu aufgeregt ist, um sich in einem Stil und einer Wahrheit einzurichten. Jamie T richtet erstaunliche Mixturen an – „Chaka Demus“ (sie!) klingt, als hätten sich die Stereo MCs an einen Reggae-Schlager gemacht, „The Man’s Machine“ beweist Stadionrockhitqualitäten auf gebrochenen Beats. Und was hat Joan Baez in konservierter Form in den ersten 30 Sekunden von „Earth Wind And Fire“ zu suchen? So geht bei Jamie T ein regelrechter Radioweckerrocker los, der dann doch etwas zu sehr ins Bon-Jovieske schwappt. Es gibt eben auf dieser Platte kein Rezept, keinen Königsweg, den der Künstler mit Blick auf die Charts beschreitet. Jeder der elf Tracks funkelt in einem anderen Farbton, jeder wartet mit einer frisch vom Himmel gefallenen Hookline auf, und jeder zweite hat ein Sample, das sich in den Gehörgängen festhakt. JamieTbesitzt das nicht hoch genug zu schätzende Talent, sich mit dem enzyklopädischen Wissen eines Nerds aus all den relevanten Pop-Nischen in den Mainstream zu katapultieren und diesen dann mit kleineren Attacken kurzzeitig aus dem Dauerschlaf zu holen. Am Ende ist die Nachricht dieselbe wie vor zweieinhalb Jahren: Kinder, ich bin bei euch, ich habe auch schon eine Menge Scheiß gebaut. KINGS & (JIEENS kommt über gewisse Passagen vielleicht sogar der Platte nahe, die man sich zuletzt von The Streets gewünscht hatte. Mike Skinner will aber lieber Philosoph sein, und Lilly Allen lieber Kylie Minogue. Jamie T ist gerade der bessere Mike Skinner. Interessant wird’s wieder, wenn Mike Skinner Kylie Minogue wird. Jamie T ist dann vielleicht schon Dämon Albarn.
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