Jazz

Die Jazz-Importeure haben schwer zugeschlagen. Also Frühjahrsputz!

Chico Freeman: THE PIED PIPER (Black Hawk) –— genauso stelle ich mir „Great Black Music“ vor: Statt der üblichen Chorus-Runterbeterei phantasievoll verspielte Jazztitel mit dezentem Soul/Pop-Einschlag. Musiker wie Kennv Kirkland (Stings Pianist) und der Woodwind-Newcomcr John Purcell stehen dem in allen Stilen versierten Saxophonisten zur Seite, spielen locker und doch mit Biß. (5)

Freeman und der Bassist Cecil McBee gehören auch zum Sextett The Leaders, das weit mehr ist als eine der üblichen Allstar-Formationen. Als Clou vieler Festivals machten sich Arthur Blythe. Lester Bowie und Konsorten einen Namen. MUDFOOT (Black Hawk) beweist, daß ihre Spielfreude auch im Studio nicht baden geht: Power, Witz, harter Swing, subtile Balladen. (5)

Eine Riesenüberraschung: Die sonst lustvoll destruktiven Avantgardler John Zorn und Wayne Horwitz liefern im Sonny Clark Memorial Quartet eine gradlinige Hommage an den 1963 verstorbenen Pianisten ab. dessen Nähe zu Blues und Gospel auch in ihren Improvisationen über seine Themen gewahrt bleibt. Piano und Sax spielen weder revolutionär noch betriebsblind. Da werden geschickt Dissonanzen in Mitsingbares eingebettet und selbst bei längeren Soli schlagen sich die Herren auf VOODOO (Black Saint) rundum wacker. Knapp: (5)

Daß der Percussionspieler Ray Mantilla seine Band Space Station nannte, geht voll vorbei am mätzchenfreien Latinjazz, der auf SYNERGY (Red Records) von Salsa bis Monk reicht. (5)

Tom Harreil, als Sideman zweifellos ein überzeugender Trompeter, kann wirklich froh sein, daß Hai Galper in seinem Quintett sitzt und der Hausmannskost auf OPEN AIR (SteepleChase) ein wenig Würze verpaßt. (3) Besser aufgehoben ist der Ex-Zappa-Pianist als Gast der Rössler/ Goos Band. Der Bläser und der Gitarrist haben Janusz Stefanski am Schlagzeug sitzen. Für ihr Debüt fiel ihnen zwar kein LP-Titel ein. dafür aber erstaunlich eigenständiges Material, das sie rundum professionell verarbeiten. (Fusion, 5) Rein weiblich von den Saxophonen bis zur Rhythm-Section: Das Quintett F spielt eineänginen Modern Jazz. Ihre LP SCHWARZWALDMÄDEL (Jazzhaus) klingt, als würde diese Band mit wenig aufregendem Repertoire vor allem live Spaß machen. Knapp: (4)

Wer traurig ist, daß Chick Corea zur Zeit seine Electric Band bevorzugt, den tröstet eine Live-Aufnahme von der 84er Tour mit Miroslav Vitous und Roy Haynes. Kammermusikalische TRIO MUSIC (ECM). an Bill Evans erinnernd, wobei die B-Seite etwas heftiger geriet. Knapp: (4)

Wer’s sperriger mag und trotzdem intellektuell, dem empfehle ich das Joe Lovano Quartet. Neben dem Tenorsaxophonisten hat Pianist Ken Werner SHAPES & COLORS (Soul Note) beigesteuert. (4)

Nicht weniger spröde: Paul Bley & Jesper Lundgaard LIVE (SteepleChase) vor einem Jahr im Kopenhagener Montmartre-Club. Und das. obwohl die drei Coleman-Titel im Programm vom Blues her kommen. (3)

Das Charlie Watts Orchcstra, besetzt mit allem, was im Brit-Jazz Rana & Namen hat, dürfte LIVE AT FUL-HAM TOWN HALL (CBS) allen Anwesenden einen munteren Abend garantiert haben. Die Platte mit Klassikern der Bigband-Ära im ungestümen Zugriff von Freejazz-Veteranen wie Evan Parker und Paul Rutherford stellt als chaotische Blowing-Scssion bloß, was schon immer Traum des Rolling-Stones-Schlagzeugers war: Einmal einer Band im legendären Londoner Ronnie Scotts Cluh Dampf machen. (3) Auch Studiomucker wollen gerne mal den Jazz pur spielen. Leider kommt das Manhattan Jazz Quintet mit MY FUNNY VALENTINE (King) nicht an sein acht Monate früher eingespieltes AUTUMN LEAVES ran: Die Standard-Songs zu lieblos auf „new approach“ hin arrangiert (der Titelsong als flottes Uptempo!) — ich

hätte Steve Gadd & Co. mehr Feingefühl zugetraut. Mittelprächtiger Mainstream. (3)

Gadd zählt neben David Sanhorn zu den Hochkarätern um den Bariton-Saxophonisten Ronnie Cuber, die mit PIN POINT (Electric Bird) das Überangebot an Fließband-Fusion“.bereichern“. (3)

Richtig ärgerlich wird’s, wenn Alphonse Mou/on verprellte Puristen mit der Verheißung BACK TO JAZZ (Bellaphon) anlockt, um ihnen nach karibischem Einstieg den üblichen Stumpfsinn vorzusetzen, als „Space Commander“ mit „Syncussion“ zu protzen und sich bei (ioil ihe Almigliiy für die sirength zu bedanken. Pfui! (2)

Bei dem skandinavischen Keyboarder Jakob Magnusson könnte er studieren, wie selbst Fusion im Stil der 70er abwechslungsreich arrangiert werden kann. TIME ZONE (Golden Boy Jazz) ist ebenso virtuos wie originell. (4) Auch der Geiger Hugh Marsh hat sich für THE BEAR WALKS (VER-ABRA) eine ganze Menge einfallen lassen. Seine Erfahrungen mit der Klassik und bei Bruce Cockburn kamen ihm beim Popjazz nicht in die Quere. Knapp: (4)

Bodenständige Fusion Ateteranen: Die Crusadcrs legen bei THE GOOD AND BAD TIMES (WEA) den Akzent mal wieder eher auf Jazz statt Funk. Joe Sample schrieb ehrenwerte Gebrauchsmusik mit viel Raum für Soli. (3)

Um einiges anspruchsvoller. Steve Weisberg, jüngstes Familienmitglied im Carla Bley-Clan. Nicht nur. weil sie CANT STAND OTHER NIGHT ONE (XtraWATT) produzierte und ihre Musiker aufbot, klingen die Songs des Keyboarders sehr sehr verwandt. Knapp: (4)

Dan Moretti (Sax und Linn Drum) ist hierzulande unbekannt und wird es bleiben, solange er wie auf SOME TI-ME INS1DE (Black Hawk) mit Bombast langweilt. Knapp: (3)

Gleiches gilt für Peter Haler TWO HEARTS (Optimism). aber statt Groove, ein leider an klassischem Feeling krankendes Album. (2)

Noch’n Flop: Der 27jährige Klampter Stanley Jordan gilt als Wunderkind. Mit den Fingern beider Hände „tupft“ er die Saiten, daß man zwei Musiker zu hören glaubt. STAN-DARDS VOLUME I (Blue Note) beweist an abgedroschenen Melodien von „The Sound Of Silence“ bis zu „Stille Nacht“(!), daß er außer Technik zur Zeit nix im Sinn hat. Der ganze Witz der Platte hängt am „live wiih no Italian Vocal Ensemble mit CH1AROSCURI (Red Records): Als hätten die Swingle Singers zuerst die Avantgarde und dann Bobby McFerrin liebgewonnen. (5)

overdubs‘.loWUl) Steve Kahn beweist in langen Soli auf der E-Gitarre. daß der Jazzrock nicht das Gelbe vom Ei war. Für Fans des Genres ist BLADES (Passport) allerdings hörenswert. (3)

Dem New Age-Trend zeigt David Thorn, wo’s langgehen sollte: CLOUD ABOUT MERCURY (ECM) ist eine fantastische Weltreise auf Basis abenteuerlicher Klänge und komplexer Rhythmen (Bill Bruford trommelt!). Davids Gitarrensoli enden meist exstatisch, Witz verdrängt bei aller Dramatik das drohende Pathos. Und der Trompeter Mark Isham überzeugt wie auf allen LPs. die nicht unter seinem Namen laufen. (5)

Die lustigste Jazz-LP seit Jahren: EDDIE WHO? (Timeless) fragt kokett der Saxophonist Eddie Harris, um den es seit seiner Zusammenarbeit mit Les McCann unverdient ruhig wurde. Doch auch als Sänger und Pianist hat der Hans Dampf in allen Gassen Format. Und als scattender Entertainer ist er sowieso unschlagbar. Knapp: (5).

„I love the old fahioned things“, singt Pam Purvis, beweist aber beim Wiederaurwärmen wohl vertrauter Evergreens so viel Persönlichkeit, daß HEART SONG (Black Hawk) nicht nur den Traditionalisten gefallen wird. (4) Wenn Chet Baker „Just friends“ haucht, herrscht Andacht im Konzertsaal. Auf die Länge einer LP — SINGS AGAIN (Timeless) — gestreckt, zeigt sich sein immergleich schüchtern-melancholischer Gesang als dem Trompetenspiel klar unterlegen. (3) Eine echte Entdeckung, das Fabio Jegher Italian Vocal Ensemble mit CHIAROSCURI (Red Records): Als hätten die Swingle Sisters zuerst die Avantgarde und dann Bobby McFerrin liebgewonnen. (5)