Keith Jarrett – Radiance
Jubiläen und runde Geburtstage sind auch dazu da, um Bilanz zu ziehen. Bei Keith Jarrett fällt das natürlich nicht schwer, da er seit über 30 Jahren einer der phantasiereichsten Aktivposten im Jazz ist. Mit seinem luxuriös besetzten Trio feat. Gary Peacock & Jack DeJohnette verleiht Jarrett den Standards von gestern ständig einen zukunftsträchtigen Drall. Und mit seinen pianistischen Langstreckenläufen hat er es tatsächlich geschafft, auch Generationen von Musik-Hörern zu infizieren, die ansonsten mit Jazz nicht viel am Hut haben. Seinen erfolgreichsten Fingerabdruck dafür lieferte er 1975 mit dem inzwischen knapp vier Millionen Mal verkauften Köln Concert ab. Am 5. Mai ist Keith Jarrett 60 Jahre alt geworden. Was dementsprechend gefeiert werden soll. Mit dem Doppel-Live-Album Radiance, das Gastspiele von Jarrett ganz allein in Japan dokumentiert. Im Gegensatz zu den ausufernden Improvisationen, von denen vor Jahrzehnten ein Stück gerade noch auf eine Ptattenseite paßte, spielte Jarrett 2002 seine Eingebungen jetzt zwischen einer Minute und höchstens einer Viertelstunde aus. Ansonsten aber ist Jarrett ganz der Alte geblieben. Mit unnachahmlicher Sogkraft knetet er die Tasten durch, ist er mit seinen kunstvollen hineingeworfenen Schnörkeln und aufgetürmten Modulationsbergen stets auf der Suche nach dem alles entscheidenen Geistesblitz. Und wenn es funkt, stöhnt Jarrett emphatisch auf – als Startschuß für ein Jazz-Mantra, bei dem sonor-grollende, narkotisch dahintreibende Figuren im Baß auf seligmachende Melodien zulaufen. So unbeschadet Jarretts unverkennbar elastisches Spiel die drei Jahrzehnte überstanden hat, in denen er von einer schweren Krankheit zurückgeworfen wurde, so ist radiance zwar als aktuelle Bestandsaufnahme eine Klasse für sich. Doch der nostalgische Unterton wiegt schwerer als der Wille zum Visionären.
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