Kontrollverlust – Control, Momentum/UK-Import

Zufälle gibt’s! Als der holländische Fotograf Anton Corbijn bei einem seiner ersten professionellen Aufträge die damals noch unbekannte britische Band Joy Division kennenlernt, ahnt er nicht, dass ausgerechnet deren Vita im Mittelpunkt seines ersten Kinofilms stehen würde. Nahezu 30 Jahre gingen ins Land, bevor das Projekt realisiert wurde. Seinem Markenzeichen – nüchterner Stil in kontrastreichem Schwarzweiß -, der nicht nur seine legendären Fotografien, sondern auch zahllose Video-Clips von u.a. Depeche Mode, U2 und Metallica veredelte, blieb der als Werbe-Regisseur sehr erfolgreiche Corbijn auch bei seinem Kinodebüt control treu. Im Mittelpunkt der mit diversen Preisen dekorierten Geschichte um das junge, aufstrebende Quartett aus Manchester steht der mit permanent melancholischem Blick vom britischen Mimen Sam Riley verblüffend authentisch dargestellte Sänger lan Curtis. Als introvertierter Außenseiter, aufgewachsen in der nordenglischen Kleinstadt Macclesfield, wünscht sich Curtis nichts sehnlicher, als seinem Jugendidol David Bowie nachzueifern. Halt findet er in der jungen Debbie (Samantha Morton), die der Arbeitsamt-Angestellte alsbald ehelicht und die Jahrzehnte später eine Biograne namens „Touching From A Distance“ über ihn veröffentlichen wird, die als Basis für Corbijns Drehbuch dienen sollte. In düsteren Bildern folgen die weiteren Stationen. Ein Konzert der Sex Pistols im Juni 1976 wird zur Initiation: Freunde suchen einen Sänger für ihre gerade formierte Band Joy Division. Ein paradoxer Name für eine Formation, die es versteht, Depressionen in Töne umzusetzen, und einen Frontmann, der Texte entwirft, die an die fatale Philosophie der französischen Existenzialisten erinnern. Erfolg bricht wie eine Lawine über die vier Musiker herein: Drogen, Sex, Alkohol, Geld. Am wenigsten zurecht kommt damit lan Curtis, der an Epilepsie leidet, die nicht mal mit Medikamenten zu kontrollieren ist. Die Katastrophe bahnt sich an, als er sich nicht nur zwischen bürgerlicher Existenz und glamouröser Karriere entscheiden muss, sondern auch zwischen seiner aufkeimenden Liebe zur belgischen Fotografin Annik Honorä (Alexandra Maria Lara) oder seiner Ehefrau samt Kind. Am Vorabend zu ersten US-Tournee erhängt sich Curtis im Alter von gerade mal 23 Jahren. Was übertrieben bis kitschig anmutet, schrieb das wirkliche Leben. Ein Glück, dass Anton Corbijn Sentimentalitäten erst gar keinen Platz einräumt. Auch was die Exzesse rund um Groupies und Stimulanzien angeht, hält er sich erfreulicherweise zurück. Stilsicher auch, dass er nicht einmal im Ansatz versucht, Curtis‘ tragischen Freitod zu erklären, und diesen auch nicht auf spektakuläre Weise ausschlachtet. Stattdessen vermittelt er in außergewöhnlich subtiler Inszenierung glaubhaft jene soziale Eiseskälte in Großbritannien zum Ende der siebziger Jahre, die Punk und New Wave maßgeblich inspirierten. Dem Zuschauer obliegt es, sich selbst ein Bild zu machen. Einer der Gründe, warum der Film sich im Winter/Frühjahr 2008 auch in Deutschland zum ausgewachsenen Programm-Kino-Renner entwickelte.

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