Liedermacher

Lady first: Ulla Meinecke mauserte sich inzwischen zur selbstbewußten Autorin und Sängerin. Ihre 5. LP, fernab früherer LindenbergNachklänge, ist ein positives Beispiel für ein Zwitterdasein zwischen Rockmusik und Liedermacherei.

Zuviel Wirkung beziehen die Songs von der gut eingestimmten Musikanten-Crew. Andererseits heben sich die Texte, Generalthema Liebe und Beziehungen, wohltuend von billigen Reimen und Silbenzwangsjacken der U-Musik ab. Privat sein ohne Indiskretionen, Gefühle mehr andeutend als offenlegend und Kitsch vermeidend, empfiehlt sich die Meinecke-LP auch Liedermacher-Freunden.

Wobei man sich klar sein muß, daß die Produktion die Songs eher in der Hitparade als im Songtextbuch angesiedelt sehen möchte.

Dieser Herbst beschert gleich drei wichtige neue Alben der führenden Liedermacher. Dem Alphabet nach, um Streitereien zu umgehen:

Wolf Biermann bleibt IM HAMBURGER FEDERBETT (Musikant/ EMI), der dichtende Einzelgänger, den nur Blinde vor ihren Karren zu spannen hoffen. Mit Goyas Graphik auf dem Cover und dem entsprechenden Bildtext im Untertitel („Der Schlaf der Vernunft bringt Ungeheuer hervor“) warnt Biermann vor dem Schlaf (nicht nur) der Gerechten. Anklagen gegen schreiende, bluttriefende Ungerechtigkeiten in Lateinamerika (mit Ernesto Kardenals Text) und Polen (in einer Rosa Luxemburg-Übersetzung) setzen Biermanns nie erlahmende Attakken gegen die Machthaber in Ost und West fort.

Grandios seine spöttische Übertragung des Boris Vian-Liedes vom „Deserteur“, und als perfektes Beispiel eines guten Liedes die „Ballade von den drei Partisanen“, die eine unter leider vielen Episoden der Griechen-Junta im persönlichen Spiegel des Federgebetteten reflektiert.

Musikalisch genügt Biermann weiterhin seine heimliche Geliebte, die Gitarre; was er an Tönen per Saite und Stimme in die Texte legt, ist sicherlich nicht nur für die amerikanischen Uni-Seminare interessant, in denen Biermann derzeit von sich und uns doziert.

Franz Josef Degenhardts LULLABY ZWISCHEN DEN KRIEGEN (Polydor) geht mehr auf die Leute und Geschehnisse hierzulande ein. Abgesehen vom Titelstück, in dem zuweilen mit Figuren von Krümelmonster bis Spock Sprachbilder erzeugt werden, die zu vordergründig (und doch nicht für Bild-Leser) sind, haben die 83er Lieder von Väterchen Franz Gehalt und Gewicht.

Die deutsche Vergangenheit kommt im „Tango Du Midi“ wieder hoch, wenn, als „schlechter Witz der Geschichte“, Nazi-Witwen ihre Pension just da verknabbern, wo ihre Männer Partisanen erschossen. Die Bestandsaufnahme der Schmuddelkinderstadt, „Nach 30 Jahren zurückgekehrt‘, ist eine notwendige Spurensicherung im Zeitalter der Fortschritts-Bultdozer.

Und auch „Göttingen“, die Fortführung des gleichnamigen Chansons von Barbara, verbindet die Schrecken von gestern mit denen von morgen. Neben dem lyrischen „Herbstlied“. einer Art Quersumme alter deutscher Herbstlieder, überzeugen besonders die biographischen Songs über einen boshaften Mächtigen („Der Geburtstag“) und einen ohnmächtigen Malocher („Zeit-Zeuge Jahrgang 00“) in Degenhardts Lust am Rollenspiel.

Schnell zur aktuellen Tournee stellte Konstantin Wecker ein neues Live-Album zusammen. IM NAMEN DES WAHNSINNS {Polydor) besteht aus Wecker-„Hits“ wie „Frieden Im Land“ und der „Baltade vom Puff das Freiheit heißt“ – und neuen Stücken wie dem Titelstück und aktuellen Zwischentexten, die aus Schlagzeilen unserer Tage ein Weckersches Glossarium machen, Auch wenn seine Studio-LPs technisch ausgefeilter sind: Die barocke Wucht des Münchners erlebt man besser live im Saal oder eben auf einer Live-LP wie dieser.