Lou Reed – Street Hassle
Der Underground-Erzengel der Endsechziger, der Glitter-Transvestit und Metallmaschinen-Exzentriker der Frühsiebziger hat wieder einen seiner verblüffenden stilistischen Haken geschlagen. Soloalbum Nummer zehn verweht schlagartig jenen behäbigen Entertainer-Anflug, der Lou Reed (36) seit „Coney Island Baby und „Rock & Roll Heart“ anzuhaften begann. Mehr noch: „Street Hassle“ ist die aufregendste Reed-Platte seit der Auflösung der Velvet Underground geworden, deren Ära – neben einigen musikalischen Zitaten – die arhythmische Bearbeitung von „Real Good Time“ wieder aufleben läßt.
In der großen Linie präsentiert sich „Street Hassle“ als ein widerborstiges, sperriges Garagenalbum, in dessen Mitte die sensible Dekadenz des elfminütigen, mit kammermusikalischer Steifheit arrangierten Titeltracks anmutet wie ein Einsprengsel aus Reeds „Berlin“-Phase. Mit laszivem Sprechgesang bereitet er sie hier wieder auf, die alten Schlüsselthemen seiner ätzend unterkühlten Underground – Poesie: käufliche Liebe, einsames Sterben und die zynische Emotionsleere menschlicher Randexistenzen. Das Charakterschwein aus dem reizvoll verschleppten Stück „Dirt“ gehört in diesen Rahmen ebenso wie die von hingerotztem Frust und Überdruß gesättigten seelischen Momentaufnahmen in „Gimme Some Good Times“ oder „Leave Me Alone“. Mit mokanter Lippe wärmt er in „I Want To Be Back“ abgegriffene Klischeevorstellungen über vermeintliche Qualitäten der schwarzen Rasse auf – doch entpuppt sein politischer Anspruch („I Want to be like Martin Luther King…“) sich rasch als purer Potenzneid („…and have a big prick too“). Die Titel der LP sind zum großen Teil auf der Deutschland-Tour des letzten Jahres (mit Lou’s festen Musikern Fonfara/Fogle/Suchorsky) eingespielt und in New York gründlich überarbeitet worden. Co-Produzent war dabei erstmals wieder jener Richard Robinson, der 1972 Lou’s Solodebüt verantwortet hatte. Er inszenierte den bisweilen soulig oder jazzig angehauchten Garagenrock ungeniert im aufwendigen 3-D-Verfahren. Kritik nur an die Adresse der Plattenfirma: keine Texte (ein Unding!) und verknisterte Höhen auf der zweiten Seite.