Marianne Faithfull – Kissin Time :: Elektronik Rock

Es ist ein Kreuz mit der Würde, wenn man altert und nicht lassen mag von jenem Tun, das einem Ruhm,Geld und Lexikoneinträge gebracht hat. Besonders gilt dies für Popstars, die, wie man so sagt, „in die Jahre kommen“, und ganz besonders für die Sex-&-Drugs-Boheme der Sechziger und ihre bisweilen clownesk-verzweifelten Versuche, den „Anschluss“ nicht zu verpassen. Gerade hat Dauer-Stenz Jagger seine bislang schlimmsten Knallbonbons (wer erinnert sich noch an „Let’s Work“?) mal wieder selbst übertroffen; nun ist seine ehemalige Gespielin dran, und mit prophylaktischer Gänsehaut nimmt der Rezensent die Liste der Mitarbeiter zur Kenntnis, die Marianne Faithfull mit einer Aura bleibender Jugendlichkeit versorgen sollen. Doch immerhin: während für Opa Jagger die Moderne mit dem zeitenthobenen Total-Epigonen Kravitz beginnt und endet, hat es Marianne mit Beck. Billy Corgan, Damon Albarn (!) und Jarvis Cocker (!!) zu tun. Wer sie auch nur flüchtig kennt, weiß, wie leicht es ihr fällt, Bekanntschaften zu knüpfen. Faithfull besitzt die seltene Gabe, sich in anderer Leute Tiefen hineinzufühlen und sie bisweilen in große Kunst zu verwandeln. Dafür braucht sie seit Anbeginn ihrer Karriere (von wenigen Ausnahmen abgesehen) die Mithilfe anderer Songwriter. Allerdings: damals („As Tears Go By“) geschah es aus Liebe, Bewunderung,Geilheit, wie auch immer; jetzt klingt das Ganze ein bisschen nach Mitleid, was die Prominenz da zusammengeschustert hat: viel müder Durchschnitt, zu dem Marianne ebenso müde und über weite Strecken unbeteiligt singt und den einen oder anderen Lucy-Jordan-Kratzer dazwischenstreut. Ein paar Ausrutscher nach oben (das böse-große „Sliding Through Life Ort Charm“ mit Pulp und Becks Ohrwurm „Nobody’s Fault“) und

unten (Billy Corgan grausiger Fehltritt „I’m On Fire“) bestätigen den Gesamteindruck eher, als dass sie ihn verbessern. Vielleicht hat sie sich einfach zu sehr zurückgenommen: Ihre Stimme bleibt seltsam gesichtslos inmitten der kühlen, manchmal arg modernistischen Tracks, die ihr der auch nicht mehr so junge Nachwuchs auf den Leib schneidern wollte und dabei ihre Maße wohl ein bisschen aus den Augen verloren hat, die nun mal sehr eigen sind und nicht ohne Falten und Laufmaschen auf jedes Modell passen. So ist das ganze Unternehmen nicht uninteressant, zumal für Fans der Beteiligten, die gerne noch eine Extra-Nummer im Regal stehen haben aber ein Marianne-Faithfull-Album ist es nicht wirklich geworden. Das ist schade.

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