Michelle Branch – Hotel Paper

Im zarten Alter von 19 kann man Michelle Branch nicht zur Verantwortung ziehen. Das Mädchen aus Arizona hat Charakter, vertritt in Interviews erwachsene Standpunkte und ist mit der Musik von Led Zeppelin und Jimi Hendrix aufgewachsen. Auch ihr kompositorisches Talent ist erkennbar, doch lässt sich die sonst durchaus vorlaute Teenagerin im Studio offenbar das Maul verbieten, dass einem die Tränen kommen können. Konsequenter noch als das Debütalbum vor zwei Jahren verbirgt Hotel Paper alle Qualitäten der Künstlerin unter einem hochglanzpolierten Überbau der Geschmacklosigkeit. Mit viel Leidenschaft waren hier Produzenten wie John Shanks (Joe Cocker, Sheryl Crow) und Josh Abraham (allerlei NuMetal) bemüht, die zarten Papierschiffchen, die Michelle Branch mit mädchenhafter Verspieltheit faltete, zu seeuntauglichen Ozeanriesen aufzublasen, die schon im Hafenbecken am eigenen Gewicht ersaufen mussten. Track für Track steigern sich nun mathematisch berechnete, auf „Wohlklang“ getrimmte Strophen in vorhersehbaren Mustern, bis die schamlos überproduzierten Refrains losbrechen und mit schichtenweise Stimme, undefinierbarem Britzeln, Summen und Klirren in höchster Perfektion alles überfahren. Erst der letzte und 15. Song bildet die große Ausnahme: Die sparsamen, fast akustischen Arrangements von „It’s You“ wurden der Schuhgröße der Sängerin angepasst und sind ein schmerzlicher Reminder daran, wie schön Hotel Paper hätte werden können.

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