Mit dem Flachmann auf Tuchfühlung von Bernd Kramer

Dieser schöne, schmale Band begründet ein Genre, das, tickten die Welt und der hiesige Kulturkrauterbetrieb halbwegs im Takt, langst profund ästimiertes Gemeingut sein müsste: die Reportage über die Spezifika des Landgasthofs.

„Hier saßen Landwirte im Dienst und etliche a. D. und schütteten sich mit Bier und Korn zielgerichtet zu. Ich orderte Bier und Korn. Sah mich um. Sehr ordentlich alles“, heißt es in dem bravourösen Text „Das Nichts und Weihnachten“; im Ton des wunderlichen Eingeweihten fährt Kramer, der mit vielerlei höheren Wässerchen gewaschene Anarchist, fort, wenn er Säufertypen vom „Elendstrinker“ über den „Protesttrinker“ bis zum „Motivtrinker“ charakterisiert. Wo er selber, der sich eine „Kornhautentzündung“ attestiert, einzuordnen wäre, ist nicht zu entscheiden und auch Bohne, man hört Kramers beiläufig gewichtigen Plaudereien über die Verwahrlosung im Hartz-IV-Universum und deren Niederschlag im bierschnapsologischen Sediment unserer brunzblöden Zeit äußerst gerne zu. Sowie seinen Elogen auf das unprätentiöse Wirtshaus als letzten Rückzugsraum gesellschaftlicher Vernunft. Denn heute ist alle brauchbare Literatur mit einer kultureschatologischen und -archäologischen Intention liiert; bzw. einem Witz, der aus dem Elend der allmächtigen Verluderung von Denken und Sein im Tumult des Stammtisch-Dialogos einen derart glanzvollen Aphorismus zu destillieren versteht wie:,. Alle Tage sind gleich lang, aber verschieden breit.“ Kramer ist ein Solidarbruder des genialen Thomas Kapielski, mit dem er regelmäßig im Berliner Lokal Goldener Hahn aus den Bierpokalen der Widerstandsweisheit schöpft. Er hat Ahnung von Frühschoppenlebern und vom Gasthaussterben,vom Locus amoenus der provisorischen Bierbank und davon, wie und wo man „für das Herz aller Dinge“ sensibilisiert wird -bei „15 Halben“ im Goldenen Hahn, dem Bollwerk gegen die „yuppieversifften Anlaufpunkte“, die sich „Bistro“, „Bar“ oder sonstwie nennen. Als gelernter Drucker guter alter kommunistischer Schule wettert Kramer zu Recht gegen die „grässlich-handwerklichen Schlampereien“ der „Sau-Semantiker“ in den Redaktionen unserer Ochsenzeitungen und den Rechtschreibdeformgremien – und lässt sich als ehrenhafter Kämpfer für die abgewickelte Orthografie allerdings ein neoliberal verkommenes, unfassbar schlampiges Lektorat gefallen. Oder bei der Fahnenkorrektur besoffen gewesen. Herr Kramer? Dann drücken wir ein Glasauge zu.

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