Phillip Boa :: Hispanola (Polydor)
Boa hat seine Drohung in der englischen Musikpresse glücklicherweise nicht wahr gemacht. Verkündete er dort doch noch vor einem halben Jahr, sein nächster Tonträger solle eine Rock-Oper werden, produziert im U2-eigenen Windmill Lane-Studio in Dublin. Allein der Aufnahmeort ist für HISPANOLA geblieben – teilweise zumindest. Will heißen, auch für sein fünftes Album folgt Boa dem Konzept, das er mit HAIR begonnen hat: Vier Produzenten, fünf Studios sind für den umstrittenen König des deutschen Untergrunds gerade gut genug.
Und wieder versammelt er dabei dieselben klangvollen Namen auf dem Cover: Tony Visconti (T. Rex, Bowie), Nigel Walker (Japan, Kate Bush), Tony Tavener (Motörhead) und, neu in der prominenten Produzenlenriege, Grobschnitt-Begründer und Conny Plank-Schüler E. Roc. Aufgenommen wurde in Dortmund, Dublin, London und New York.
Ein Plan, der auf HISPANOLA um einiges besser aufgeht als beim Vorgänger HAIR. Boas Stil-Facetten und -Brüche, die manierierte Nervosität seiner Gesangsparts mit Pia Lund, die Voodoo-Club-eigene Portion Avantgarde, die früher allzu demonstrativ an Zuhörernerven rüttelte – all das, was auf HAIR als Mittel zum Zweck bisweilen nur strapazierte, fügt sich auf HISPANOLA zu einer substanziellen Mischung zusammen, die künstlerischen Anspruch mit hörbar durchdachteren Song-Strukturen spannend zusammenfügt. Endlich hat Boa echte Songs geschrieben, die – wenn auch immer wieder durchbrochen und in Frage gestellt -, mit ihren prägnanten Melodien im Ohr bleiben, allen voran die erste Single-Auskoppelung „This Is Michael“ oder die Visconti-Produktion „I Don’t Need Your Summer“. Keine Angst: Es ist kein Boa zum Mitsingen, aber Musik, die ohne Umwege ihren Weg ins Nervenzentrum des Zuhörers findet.
Und Boa hat gelernt, seine Stimme zu gebrauchen, zu akzentuieren, klingen zu lassen. Pias Sphärenstimme, weiter zurückgenommen, bisweilen atemberaubend hingehaucht, gibt der Musik auf HISPANOLA jedoch einiges mehr an Reizen als ihre Kieks-Orgien der früheren Produktionen.
Langeweile kommt jedenfalls nie auf, und HISPANOLA braucht trotz der allgemein besseren Verträglichkeit eine Menge Aufmerksamkeit. Die Frühstückssemmel muß man schon aus der Hand legen, um solch rohe Perlen genießen zu können.
KUNST & KUSCHELN
Die Schulbank brachte sie zusammen: Seit acht Jahren sind Phillip Boa (27) und Pia Lund (25) die alleinverantwortliche Achse der Dortmunder Formation „Phillip Boa And The Voodooclub“. Anders als bei vielen Pop-Paaren ist die Arbeits-Ebene bei ihnen fast völlig von dem jeweiligen Stand ihrer Beziehung getrennt. Beide leben gemeinsam in einem Haus nahe Dortmund und haben ein Kind miteinander, bei der Betreuung hilft die Großmutter mit. Zur Zeit sehen sie sich nicht als Pärchen. Phillip: „Im Moment sind wir wieder auseinander. Ich habe aber in diesen Zeiten auch keine andere Freundin, wie es in den modernen Beziehungen so üblich ist.“
Dennoch bleibt „Boa“ ein Zweier-Ding. Pia: „Wenn wir zusammen Musik machen, hat das nichts mit unserer Beziehung zu tun, das ist rein musikalisch. Trotzdem – Ich hätte keine Lust, mich mit einem anderen Mann auseinanderzusetzen.“
Pias Beitrag zu den Boa-Songs kommt erst dann zum Tragen, wenn Phillip die Grundideen auf einem Vierspur-Tonband festgehalten hat. Boa: „Meine wichtigste Funktion ist es, halbfertige Songs mit Pia und anderen Leuten zu spielen und diese Leute dabei zu dirigieren. Aber doof im Proberaum rumstehen und mit der Band rumnudeln – das gibts bei mir nicht.“ Pia sieht das etwas anders: „Ich bin eigentlich ziemlich wichtig. Ich unterstütze ihn in seinen Gedanken, und wenn er mit dem Vierspur-Kram fertig ist, mache ich am Synthie was dazu oder lasse mir einen Baßlauf einfallen. Spontan singen kann ich aber nicht – Boa hingegen geht immer zum Mikro und singt sofort.“
INDIES & KOMMERZ
1984: Mit der Single „Most Boring World“ sorgen Phillip Boa & The Voodooclub erstmals für Verwirrung im deutschen Underground.
1985: Die Debüt-LP PHILISTER erntet vor allem in Großbritannien überschwengliche Kritiken und hält sich drei Monate an der Spitze der deutschen Independent Charts.
1986: Das Album ARISTOCRACIE erscheint in sechs Ländern und wird zu einer der bestverkauften deutschen Independent-Platten.
1987: Von „Verräter“-Rufen begleitet, unterschreibt Boa einen Vertrag bei einer großen Plattenfirma. Boa: „Das war eine reine Image-EntScheidung. Polydor hatte nur diese Eurovisions-Künstler und wollte sich mit uns so einen progressiven Rock-Approach geben. Als dann unser erstes Major-Album COPPERFIELD in die Charts-Warteliste kam, haben sie ziemlich dumm geschaut.“
1988: Mit großem finanziellen Aufwand, vier Produzenten in fünf Studios, produziert Boa das Album HAIR. Es hält sich 16 Wochen in den deutschen Charts und erreicht Platz 26.
1990: Mit ungebrochenem Engagement wird HISPANOLA auf den Markt gebracht. Boa, immer noch letzte Instanz in allen künstlerischen Entscheidungen, orakelt: „Ich weiß nicht, wie lange diese Besetzung mit Voodoo und Rabe noch zusammen spielt. Wir haben uns Weihnachten 1990 als Stichtag gesetzt.‘
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