Phish – Billy Breathes

Leute, staubt die Spiegelkugel ab, entrollt den Flokati, zündet Räucherstäbchen an und entkorkt eine Flasche ’69er ‚Sausalito Sunrise‘. Guter Jahrgang, auch musikalisch. Auf BILLY BREATHES, ihrem siebten Album, räkeln sich Phish wieder einmal wohlig im Schaum der frühen (Rock-)Tage. Schon vor dem Tod von Jerry Garcia begann der Vierer aus Vermont die Nachfolge von Grateful Dead auf den Stickern verbeulter VW-Busse anzutreten. Doch es gibt noch mehr Parallelen: Konzerte beider Acts sind/waren stundenlange Happenings mit speziellem Bootlegger-Service, beide beschäftigten einen eigenen Texter (Robert Hunter bei den Dead, Tom Marshall bei Phish), und allmählich stoßen auch die Plattenverkäufe der Neo-Hippies in Dimensionen vor, die einstmals den „Dankbaren Toten“ vorbehalten waren. Für ihr 94er Studiowerk HOIST und die Konzert-Doublette A LIVE ONE vom Vorjahr gab’s jeweils Gold in den Staaten, und es müßte mit dem Teufel zugehen, sollte ihnen dieses Kunststück mit ihrer aktuellen CD nicht auch gelingen. Zumal Trey Anastasio (Gitarre), Page McConnell (Keyboards), Mike Gordon (Bass) und )on Fishman (Schlagzeug) – alle vier steuern die Vocals bei – die ausufernden Jam-Sessions vergangener Tage zugunsten schärfer akzentuierter Songs drangegeben haben, für die der Begriff „laidback“ eine geradezu deftige Umschreibung wäre. Nach dem heftigen Einstieg mit der von kernigen Riffs und bissigen Wah-Wah-Gitarren getragenen Singleauskopplung ‚Free‘ und dem nicht minder knalligen ‚Character Zero‘ hat’s von milder Psychedelia abgesehen – ausschließlich melodiöse, atmosphärisch angelegte Stücke, deren Quellen freizulegen den Amateurmusikforscher in uns ein halbes Jahr beschäftigen würde. Deshalb nur ein kurzer, unvollständiger Auszug: ‚Waste‘ entwickelt sich aus dem patentierten Led-Zeppelin-Folk-Einstieg a la ‚The Rain Song‘ zu einer wunderschönen Ballade, bei der Sequenz ‚Swept Away‘, ‚Steep‘ und ‚Princes Caspian‘ meint man ein verschollen geglaubtes Frühwerk aus der Syd-Barrett-Phase von (Jhe) Pink Floyd zu hören. ‚Cars, Trucks & Buses‘ ist ein relaxed-swingendes Instrumental aus der Familie der ‚Jessica‘, die weiland durch die Allman Brothers zu Weltruhm kam, der folkig-versponnene, von unerwartetem Vibraphongeklöppel veredelte ‚Train Song‘ klingt, als hätten sich Woody Guthrie und Amazing Blondel zusammengetan. Dazwischen tönt’s mal nach Mad River (Kennt die noch jemand?), mal nach den Byrds, und über allem schwebt ein mehrstimmiger Gesang wie einst bei den narkotischen Nachtigallen Crosby, Stills & Nash. Doch keine Sorge: Phish – und das ist das Großartige an BILLY BREATHES – zaubern aus all diesen Einflüssen in ihrer Alchemistenküche eine neue, seltsam schimmernde Substanz. Ein dickes Extralob gibt’s für Page McConnell an den Tasten und für das von Produzenten-Legende Steve Lillywhite maßgeschneiderte luftige Soundgewand. Ein bißchen träumen darf sein: Phish treffen sich mit den seelenverwandten Black Crowes zum geselligen Schmauchen und drehen anschließend Langweilern von den Spin Doctors bis Hootie samt Blowfish eine Nase. Hätte ich mich nicht mit eigenen Augen vom Gegenteil überzeugt, nach dem Hören dieses Albums würde ich schwören, daß der Geist von Haight-Ashbury noch lebt. „And all the hippies work for IBM“, hat Joe Jackson mal gesungen. Denkste. Deadheads zu Phish-Köpfen.