Prayers From Hell – White Gospel & Sinners Blues :: Diverse
Es ist der immer gleiche kolonialistische Blickwinkel: Die Ausgestoßenen werden ob der ihnen vorbehaltenen zivilisatorischen Segnungen als „authentisch“ begafft. So geschehen auch bei Dock Boggs. Minenarbeiter, Schwarzbrenner, Sozialhilfeempfänger und Weißer. Er hat nie da gelebt, wo die Provinz dich wärmt. Er vegetierte dort, wo die Peripherie einen umbringt. 1963 genügte er den Anforderungen an Echtheit einiger Collegestudenten. Der Mann wurde auf Folkfestivals von Newport bis Berkeley herumgereicht und spielte seine Lieder wieder öffentlich zum ersten Mal seit den 30er Jahren. Moritaten, in denen ein irrlichternes Banjo versucht, aus den Bergen Virginias auszubrechen, egal wohin. Und eine Stimme, aus der neben der latenten Gewalttätigkeit eines Kettenhundes die verzweifelte Sehnsucht nach einer Flucht spricht. Eine Hoffnung, die nicht mehr als ein Song bleiben sollte. Wie Dock Boggs’Songs sind auch die anderen Stücke auf diesem Album eigentlich eher Country als Blues. PRAYERS FROM HELL präsentiert jedoch, ähnlich wie die 1997 wieder aufgelegte ANTHOLOGY OF AMERICAN FOLK MUSIC, Songs meilenweit entfernt von Nashville: Was dem „Nigger“ das Baumwollfeld, ist dem „Whitie“ der Bergbau und die Eisenbahn. Leibeigenschaft und Ausbeutung. Nicht besitzen, Besitz sein. Der einzige Ausweg: Gewalt und Verbrechen. Oder vielleicht das einzige, was man selber hat: ein paar Lieder. Im Gegensatz zum Einzelkämpfer Boggs schaffte es die Carter Family, den Nihilismus ins Religiöse zu wenden. Mit ihrem White Gospel und Songs wie „Church In The Wildwood“ oder „It Is Better Farther On“ gelangten sie mit Einfachheit und Innigkeit zum Erfolg. Weniger prekär als für Boggs war auch die Lage für die Bluegrass-Vorläufer Monroe Brothers, den Slidegitarristen Frank Hutchinsons oder das gezähmte, profan-religiöse DuoCIiff und Bill Carlisle. Was alle hier eint, sind Songs einer vorher stimmlosen, ländlichen weißen Gegenkultur, die sich gegenüber den dekadenten Städtern Gehör verschaffte.
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