R.E.M. – 9 Re-Releases :: Shiny Happy People
Rechnet man Partys, Paraden und alle Sicherheitsmaßnahmen zusammen, kostete Amerika die Amtseinführung George W. Bushs genauso viel wie Warner Music der Vertrag mit R.E.M. – 80 Millionen Dollar. Wer nun den besseren Fang gemacht hat, sei dahingestellt; sicher ist, daß keine Band der Welt höher gehandelt und von Labelseite mehr hofiert wird als R.E.M. Jüngstes Beispiel: die Neu-Veröffentlichung aller neun Warner-Alben (darunter ein Best-Of), die Michael Stipe, Peter Buck und Mike Mills seit ihrem Weggang vom Indie-Label I.R.S. eingespielt bzw. kompiliert haben. Vom 1988er Major-Debüt GREEN bis zum neuesten Werk AROUND THE SUN sind alle Platten nun auch in Doppel-Digipacks zu haben, mit erweiterten Liner Notes und einer Zusatz-DVD, die neben dem jeweiligen Langspieler in Surround-Sound tollen Schnickschnack wie Live-Mitschnitte, Videoclips und Kurzdokumentationen bereithält.
Aufschlußreich etwa ein Promo-Interview, das kurz vor der Veröffentlichung von GREEN entstand und die Bandmitglieder an der Schwelle zum Superstar-Dasein zeigt. Fast schüchtern wirkt Michael Stipe, während er über die visuelle Umsetzung seiner Songs in Videos spricht. Wir hören und sehen: „Orange Crash“ und „Stand“, die zwar nicht schöner, aber bezeichnender für das feiste GREEN sind als die süß plätschernden Mandolinen in „The Wrong Child“ und „You Are The Every thing“, an denen sich schon jetzt die Grandezza des, ja doch, allergrößten R.E.M.-Songs abzeichnet: „LosingMy Religion“ erscheint 1991 auf OUT OF TIME 3und überstrahlt den Rest eines so erfolgreichen wie wirren Albums, das mit dem etwas bemühten Funk’n’Rap-Exkurs „Radio Song“ beginnt, zwischendrin blödelt („Shiny Happy People“) oder sich in Belanglosigkeiten verliert („Belong“), aber dank der wundervollen Schlußnummer „Country Feedback“ doch noch versöhnt. „Es klang kaum nach uns“, sagte Gitarrist uück einmal über das Album, das paradoxerweise bis heute zu den bestverkauften seiner Band zählt. Insofern – und nur insofern – ein Wunderwerk. Man ziehe die uninspirierten Momente von OUT OF TIME ab, vervielfältige das Übrige und erhalte: AUTOMATIC FOR THE PEOPLE, die Platte, die dich mit R.E.M. infiziert, von den ersten Gitarren im düsteren „Drive“ bis zum Akkordeon im wärmenden Ausklang „Find The River“. Songs wie Weisheiten, einer bezaubernder als der andere: „Try Not To Breathe“, „Man On The Moon“, „Everybody Hurts“, „The Sidewinder Sleeps Tonight“. Und wer sich nach 13 Jahren immer noch fragt, was der Titel AUTOMATIC FOR THE PEOPLE heißen soll, erfährt’s im Kurzfilm auf der DVD.
Ihrem besten Album folgte ausgerechnet das schlechteste: 1994 erschien MONSTER und verstörte in seiner Schroffheit selbst die offenherzigsten Fans. Während R.E.M. nach neuen Ausdrucksformen suchten, verloren sie oft vollends die Orientierung. Immerhin, der Opener „What’s The Frequency, Kenneth?“ und das sinistre „Bang And Blame“ lassen erahnen, daß das Experiment MONSTER unter besseren Voraussetzungen durchaus hätte glücken können. Als noch chaotischer beschrieb die Gruppe spätei die Begleitumstände ihres’96er Albums NEW ADVENTURES IN HI-FI. Die Songs entstanden im Tourbus und während diverser Soundchecks, wirken nebeneinander aber erstaunlich homogen. Überhaupt ist NEW ADVENTURES IN HI-FI das unterschätzte R.E.M.-Album, wohl weil es auf den ersten Eindruck zu verhalten klingt. Dabei wagt die Band vor allem in elektronischer Hinsicht („Leave“) viel Neues und nimmt in weiten Teilen vorweg, was sie zwei Jahre später auf UP vollendet: höchste Klangkomplexität und der Bruch mit alten Songstrukturen. Obwohl – oder gerade weil – R.E.M. durch den Ausstieg von Drummer Bill Berry 1997 zum Trio geschrumpft sind, ist UP ihr mutigstes Album und eines ihrer gelungensten.
REVEAL erreicht die Größe des Vorgängers mit fast gegensätzlichen Mitteln: Erhabenheit und Bedacht spricht aus gleißenden Songs wie „Saturn Return“, „I’ll Take The Rain“ (hier dabei: der Zeichentrickfilm zum Remix) und „All The Way To Reno“, das ebenso wie die Hit-Single „Imitation Of Life“ auf IN TIME -THE BEST OF R.E.M. 1988-2003 berücksichtigt ist. Freunde wie Radioheads Thom Yorke halfen Stipe, Buck und Mills beim Bestücken dieser Liedsammlung, die nur in der Erstauflage mit Raritäten-Bonus-CD zu empfehlen ist. Der Re-Issue enthält Studio-Aufnahmen und das Video zum Song „Bad Day“, der bestens funktionierte als Überleitung zur jüngsten R.E.M.-LP AROUND THE SUN. Über die wurde ja nicht zuletzt auf diesen Seiten lebhaft disputiert. Halten wir’s kurz und diplomatisch: Es ist nicht ihre beste – aber auch eine „nicht so gute“ R.E.M.-Platte ist immer noch besser als vieles andere da draußen.
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