Radiohead – Pablo Honey, The Bends, OK Computer

„Wenn man Musik wirklich liebt, will man sich nicht wiederholen. Die Dinge, die man wirklich liebt, inspirieren einen und bringen einen dazu, loszugehen und etwas anderes zu probieren.“ Wohlfeile Worte, die Musiker wie auf Autopilot vor sich hinplappern, nur um anschließend ihr aktuelles Album als das beste, tollste und schönste ihrer Karriere zu preisen, auch wenn es der x-te Aufguss des Immergleichen ist? So funktioniert das Business, Baby. Doch hier spricht Thom Yorke, und womöglich hat es ja wirklich seit David Bowie in den 70ern in der populären Musik niemanden mehr gegeben, der seine Kunst einem solch steten Wandel unterwirft wie Radiohead. Gemeinsam mit Jonny Greenwood, Ed O’Brien, Colin Greenwood und Phil Selway hat Yorke die „progressive“ Rockmusik vom fauligen Ruch des eskapistischen, von Feen, Schraten und anderen Fabelwesen bevölkerten 20-Minuten-Epos befreit und zurückgeführt zu ihrem wahren Kern: dem verwegenen, bilderstürmerischen, von Abenteuerlust und Pioniergeist beseelten Drang, neue Klänge, neue Ausdrucksformen, neue Strukturen zu erforschen. Die ersten drei Alben des Quintetts aus Oxford sind jetzt als hübsch aufgemachte Mini-Boxen mit dem Original-Longplaycr auf einer, mit allerlei Singles und EPs, Live- und Outtakes, Demos und Remixen auf einer zweiten CD sowie diversen Videos und Konzertmitschnitten auf einer zusätzlichen DVD erhältlich. Alles begann im Februar 1993 mit dem grunge-grundierten, postpunkrock-mformierten – wer will, mag das Ungestüm der Pixies, die unterkühlte Eleganz von Magazine und den Sturm und Drang der frühen U2 heraushören – Debüt PABLO HONEY 4,5, natürlich inklusive „Creep“, jenem Song, der so unwiderstehlich, so unfassbar großartig tönt, dass viele erst später mitbekamen, wie toll, frisch und wagemutig doch das gesamte Album klingt. Die Bonus-CD enthält die zwischen Mai ’92 und Mai ’93 erschienenen EPs, die US-Single „Stop Whispenng“ sowie vier bei einer BBC Radio One Session mitgeschnittene Songs, die DVD wartet u.a. mit einem Konzertmitschnitt vom Mai ’94 aus dem Londoner Astoria auf. THE BENDS 5 Zwei Jahre nach diesem furiosen Debüt erschienen, schraubte die Standards noch ein Stück höher: die Songs ausgefuchster, die Sounds ausgefeilter, das Album monolithischer, kühner, psychedelisch schillernder, changierend zwischen schweren, nie grobschlächtigen Groovcs („Planet Telex“), wunderfein schwebenden Akustik-Tunes („Fake Plastic Trees“), beatlesnaher Melodik und zeppclinesker Wucht. Doch sind es auch hier die CD mit dem Extramaterial, darunter die „My Iron Lung“-EP, sowie die 90-minütige DVD mit Exzerpten eines weiteren Gigs im Londoner Astoria, aus „Top Of The Pops“ und einer „Later … With Jools Holland“-Show, die den Mehrwert ausmachen. Radioheads größte Stunde indes schlug zwei weitere Jahre später, im Juni 1997: OK COM-PUTER 6 sollte für die 90er das werden, was SGT. PKPPER’S LONELY HEARTS CLUB BAND für die 60er, was DARK SIDE OK THE MOON für die 70er war: ein makelloser Meilenstein der Rock-Historie, ein auf allen Bestenlisten weit vorne geführtes Opus magnum, das mit einer völlig neuen Klängästhetik, mit hochkomplexen und doch auf Anhieb wunderbar eingängigen Songs, einer fast schon manischen Detailverliebtheit und einem nie versiegenden Strom von Ideen aufwartete, aus dem minderbegabte Künstler drei komplette Karrieren hätten zimmern können. Und wie faszinierend klingt das alles heute noch: das erhabene Tosen von „Paranoid Android“, die psychedelische, an die Beatles, ca. REVOLVER, gemahnende Grandezza von „Karma Police“, die fragile Anmut von „Exit Music (For A Film)“, das hymnische „Let Down“, das frei schwebende, nurvon verhallten Beats geerdete „Climbing Up The Walls“ – jedes Tune eine Kostbarkeit, alle zusammen ein Meisterwerk, in Szene gesetzt von einer früh vollendeten Band auf dem Zenit ihres Schaffens. Danach hatte nur noch Stille kommen können – oder etwas ganz anderes: Dekonstruktion. Abstraktion. Und ein Song, der „How To Disappear Completely“ heißt. Was danach kam, war: KID A. Und fortan sollte nichts mehr so sein wie früher.

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