Rock-Spezialitäten

Um den halben Erdball gesegelt kommt ein neues Produkt, das den Kult um die australische Birthday Party (1983 aufgelöst) bzw. deren Ex-Sänger Nick Cave neues Feuer gibt: ITS STILL LIVING ist der passende Titel eines hautnahen Live-Mitschnitts aus dem Astor Theatre, Melbourne, vom Januar’82. Fantastisch der knochentrockene Sound und die roh ins Vinyl übernommene Energie dieses wahrhaft funkensprühenden Konzerts (Australien-Import über Rough Trade, 5) Noch eine gelungene Live-Aufnahme: „It seemed proper to get the Fugs back together in 1984 … we felt the time was even more propitious now for the Fugs than it had beenin 1965“ schreibt der große Ed Sanders im Covertext der neuen Fugs-LP REFUSE TO BE BURNT OUT-live aufgenommen im New Yorker Bottom Line. In dieser neuen Fugs-Inkarnation sind neben den etwa 50jährigen Leadern Sanders und Tuli Kupferberg auch Musiker der jüngeren Generation, Shockabilly’s Mark Kramer und Gitarrist Steve Taylor, vertreten. Das Ergebnis ist ein bewegender Live-Set mit überraschend knapp gehaltener Nostalgie und jeder Menge Aktualitätsbewußtsein (New Rose, 5).

Ganz neu ist der Name Pontiac Brothers im Importregal: Gegründet vom Ex-Gun Club-Gitarrero Ward Dotson und Sänger Matt Simon, verschreibt sich das Quintett ganz und gar dem ausgiebigen Gitarren-Rock, wobei Anklänge von Gun Club, Dream Syndicate und Jason & The Scorchers festzustellen sind. Auf der Flutwelle neuer Guitar-Bands schwimmen diese Newcomer obenauf (Rough Trade Import. 4).

Das aktuelle Amerika hat noch wesentlich härtere Attacken zu bieten: Swans aus New York zelebrieren ihre wahrhaft brutalen Übergriffe auf Gedärm- und Hirnwindungen in zeitlupenhaft gezerrten Schwallen atonalen Trommelfeuers voller Horror und Hoffnungslosigkeit, wobei Michael Giras Texte mit einfachen Mitteln neue menschliche Abgründe durchstochern: vier neue Stücke auf der LP RAPING A SLA-VE (RT-Import, 4).

Anführer des Neo-Folk-Movements in England sind derzeit The Pogues. deren Verdienst es ist, die Musik der Dubliners ins allgemeine Bewußtsein zurückgeholt zu haben. Nach der überragenden LP RED ROSES FOR ME (Stitt/Teldec) erscheint nun die Maxi „A Pair Of Brown Eyes“, die von Elvis Costello produziert wurde (Stift 5).

Neben den Pogues finden sich weitere Neo-Folkies, Psychobillys und Pub-Rock-Bands auf dem Sampler DONT LET THE HOPE CLOSE DOWN, dessen Erlös dem von Schließung bedrohten Traditionsclub „Hope & Anchor“ zukommen soll (Big Beat. 4).

Top- und Skandal-Band Nr. 1 in the UK sind The Jesus & Mary Chain, die ihren Status sage und schreibe nur mit zwei Singles erreicht haben. „Upside Down/Vegetable Man“ erschien noch beim Indie-Label Creation (RT-Vertr.). Zweitling „Never Understand“ gehört nun schon ins Imperium WEA, zeigt die Band aber unbeeindruckt vom allgemeinen Interesse: Ihr Gitarrensound läßt Jimi Hendrix wie Paul Simon klingen, Jim Reids kommt durch dickste Wolkenbänke und verkündet die neue Euphorie in the UK. Platte des Monats (6).

Elektro-Barde Billy Bragg legt seinen beiden Erfolgs-LPs eine 17cm-LP nach, die neben „Between The Wars“ drei neue Songs enthält und musikalisch das bewährte bietet (Ariola-Import, 4).

Rough Trades Zugpferde. The Smiths, bleiben ihrem Ruf als fleißige Plattenmacher treu. Nachdem ihre LP MEAT IS MURDER die Nr. 1 der englischen LP-Charts belegte, kommen jetzt bereits neue Songs auf der Maxi „Shakespeare’s Sister“, die von erfrischend flottem Beat profitieren (5).

Abteilung Wave-History: HIP PRIEST & KAMERADS ist ein Querschnitt durch das Schaffen von The Fall 81-83. Keine exklusiven Tracks, aber die seltenen Singles „Lie Dream …“ und „Look, Know“ sind incl. B-Seiten enthalten (RT-Vertr., 4).

Klassisches Psycho-Rock-Entertainment mit deutschen Texten–dank Pseiko Lüde & The Astros nicht länger ein Ding der Unmöglichkeit. Als Frontmann ist Pseiko ein echtes Talent, Tex Motion (Ex-Surplus Stock) spielt allerschärfste Gitarre-und so ist ELEKTRIC LÜDELAND (Live Feb.85) eine Partyplatte der Extraklasse (Vertr.Das Büro, 5).

Gleich danach auflegen: die modernere Party-Version der Family 5 auf neuer Maxi „Stein des Anstoßes“ incl. Dub-Version und den Klassikern „Shake Some Action“ (Flamin Groovies) und „I Don’t Care“ (The Boys) auf der B-Seite. (Efa-Vertr., 5).

Wer lieber hört, wie Marianne Rosenberg Siouxie & Cocteau Twins entdeckt, dem empfehle ich die Soundtrack-LP zu Marianne Enzensbergers Film DER BISS (Efa-Vertr.), wo auch die Filmemacherin selbst mit eigener Band vertreten ist. Klassisch der Kurzauftritt von David Peel & Lower East Side in Bootleg-Qualität: „Up against the wall, mothef*cker…“