Rock-Spezialitäten
Zur Zeit auf meinem Plattenteller: I The Fall: Live At The Trials Neil Young: On The Beach – Phillip Boa & The Voodoo Club: Philster – Nick Cave I & The Bad Seeds: First Born Is Dead – Johnny Cash: At San Quentin – Hallo, Frankie-Fans! Wie Ihr alle wißt, startete Holly Johnson seine steile Karriere 1978 in der Gruppe Big In Japan, wo er im Hintergrund den Baß zupfte. Diese Liverpooler Urzelle von FGTH besaß in Jayne Casey eine Sängerin, deren optische Extravaganzen ihrer Zeit weit voraus waren. Nach längerer Pause erscheint nun Neues von ihrem eigenen Projekt Pink Industry, das Jayne Casey als Duo mit Ambrose Reynolds (Gründungsmitglied und Namensgeber von Frankie Goes To Hollywood, so die Legende) betreibt.
Stimmungsvolle Synthi-Melodien und Jaynes unverkennbare Stimme machen New Beginnings zu einer schönen, untergründig bedrohlichen LP. Kein Glamour, nur private Atmosphäre auf dieser (von Heimstudio-Aufnahme bis zum Eigenlabel) gänzlich unabhängigen Produktion. Einen guten Schuß Humor beweist Pink Industry auf der ausgekoppelten Single „What l Wouldn’t Give“, einem Anti-Morrissey-Song mit ebendem Smiths-Star auf dem Cover (Zulu/RTD, 4) Elvis Costello, dessen Platten-Karriere z.Zt. auf der Stelle tritt, betätigt sich erfolgreich als Produzent und Labelbesitzer: Unter seiner Regie haben die Fake-Folk-Punks The Pogues just ihre neue LP fertiggestellt; die vorgeschobenen Maxis „Pair Of Brown Eyes“ und „Sally Maclennane“ lassen auf Großes hoffen. Costello betont die melodische Qualität der whiskytrunkenen Pogues-Gesänge – und so trifft die grandiose Live-Band auch als Konserve in Herz und Gemüt (Teldec, 6).
Costellos Imp-Label mit Philip Chevron (Ex-Radiators) als Hausproduzent spezialisiert sich auf traditionelle Musik verschiedenen Ursprungs: The Men They Couldn’t Hang zählen zur Familie der Neo-Folkies und sind in England großer als The Pogues. „Ironmasters“ ist ihre zweite Maxi und verhält sich zu den Pogues wie Fairport Convention zu den Dubliners: Elektrische Gitarren statt Mandolinen (5).
Agnes Bertelle wiederum ist die Tochter eines Theaterchefs aus dem Berlin der 20er Jahre und singt auf Father’s Lying Dead On The Ironing Board Texte von Ringelnatz im Stile des politischen Kabaretts jener Zeit. Nicht gerade meine Tasse Milch, aber ausgefallen genug, um Interesse zu wecken. Lobenswert die umfassenden Cover-Informationen (3).
Jeder interessierte Fan sollte bei Beyond The Southern York ein Ohr riskieren: wie der Titel nahelegt, ein Sampler mit fast ausnahmslos unbekannten australischen/neuseeländischen Bands. Das Doppel-Album ist umfassend zusammengestellt und bringt neben überdurchschnittlichen Garagenbands auch einige merkwürdige, von euramerikanischen Strukturen unberührte Klänge (Ink/UK-lmport, 5).
Sacred Cowboys gehören nach ihrem Indie-Hit „Nothing Grows In Texas“ zu den hierzulande zum Geheimtip aufgestiegen Aussie-Bands. Auf der LP We Love You glänzen die Cowboys nun ausschließlich mit Cover-Versionen von Beatles, CCR, Velvets, Dylan, Doors, machen ihre Sache aber gut. Leider erstmal nur als Australien-Import. Hoffen wir, daß New Rose (Frankreich), wie im Falle des Erstlings, für eine Euro-Pressung sorgt (4).
Im gleichen Australien-Paket eine LP mit Demo-Outtakes der Go-Betweens, aufgenommen 1981 in ihrem Heimatort Brisbane. Auch bei ärmlicher Aufnahmequalität ein absolutes Muß für jeden Verehrer dieser Band, zumal nur unbekannte Songs/Versionen vertreten sind (5).
Schon wieder ein Zombie-Streifen oder jedenfalls der Soundtrack dazu: Die spärlichen vier Szenenfotos auf dem Cover von Ll Retour Des Morts Vivants läßt Übles vermuten; das Vinyl indes bringt Unveröffentlichtes von The Cramps, The Damned und Psycho-Denkmal Rocky Erickson, HM-Ansätze von 45 Grave und Peitschen-Disco von SSQ. Wo läuft der Film? Ich will ihn sehen! (New Rose, 5).
The Jet Black Berries, auf Le Retour… ebenfalls vertreten, versuchen, auf ihrer Debüt-LP Sundown On Venus den engen Rahmen neuer US-Gitarrenbands zu sprengen: mehr Freiraum für Gesang, gelegentlich dicke Keyboards und durchaus verschiedene Rock-Einflüsse künden neuen Mainstream an. Der amerikanischen Erstauflage ist eine einseitig bespielte 6-Track-LP beigelegt, die den Import-Preis von knapp 40 DM lohnt (Engima, 4).
„A constant füll power assault combining heavy thrashing and extensive use of feedback…“ schreibt der „New York Rocker“ über das Power-Trio The Wipers aus Portland/Oregon. Die englische „Sounds“ erkennt Garagenpunk und Fransen-Psychedelia. Wer bei diesen Vokabeln feuchte Hände bekommt, darf sich über die Live-LP der Wipers freuen, aufgenommen Februar/März ’84 mit den Highlights ihrer drei Studio-LPs sowie drei neuen Stücken.
The Wipers sind Brainchild des Sängers, Gitarristen und alleinigen Songwriters Greg Sage, eins der frischen Talente unter amerikanischen Rock’n’Roll-Outcasts. Sein erstes Solo-Album Straight Ahead bestreitet Grag Sage bis auf die Schlagzeugparts im Alleingang und widmet sich durchweg ruhigerem Songmaterial, wo der unverkennbare Drive der Wipers zwei Gänge langsamer rollt und auch traditionelle Folk- und Blues-Formen angeschnitten werden. Auch im Falle dieser Platten stünde eine Europa-Veröffentlichung dringend zur Debatte (Beide Enigma, 5).
Zusammen mit seinem Tournee-Partner Alain Goutier legt Blaine Reininger eine neue Mini-LP vor: Paris En Automn wird alten TuxMoon-Fans wie auch Bowie-Liebhabern gefallen (Beide EfA, 4).
Die kalifornische Hard Rock Band X wechselt die Maske: Weg von schweren Riffs, rauf auf den Bandwagon nach Wildwest. Unter dem Namen The Knitters verdienen sich Exene Cervenka, John Doe & Co. auf dem Album Poor Little CRITTER ON THE ROAD den Langeweile-Preis des Monats: ein akustisches Repertoire ohne Schmalz und Pfeffer, das in seiner Belanglosigkeit an Truck Stop erinnert (Slash, 2).
Die englischen Times gelten neben TV Personalities als wichtigste Exponenten der Mod-Bewegung. Das Hagener Pastell-Label unternimmt nun den waghalsigen Versuch, allererste Aufnahmen der Band unter die Leute zu bringen. Holprig spielt sich die Band durch ein Repertoire aus Klassikern und kruden Eigenkompositionen des damals 15jährigen Leaders Edward Ball. Lebendige Trivia for Fans & Collectors (3).
Neue Maxis 1 The Jesus & Mary Chain: „You Trip Me Up“ treibt mir Tränen in die Augen, so traumhaft schön ist die (geklaute) Melodie, so zahnschmelzsprengend die Gitarren. Wie heißt es – frei übersetzt – auf einer alten Patti Smith-LP: „Die Schönheit wird ein Beben sein oder sie wird nicht sein. “ Prädikat: Beste Gruppe (WEA 6).
The Three Johns sind auf „Death Of The European“ noch immer derbe, linksradikale Rowdies, haben sich aber eine Melodie einfallen lassen, die ihrem Gitarren-Trash etwas Zuckerguß bringt (Abstract, 4).
The Woodentops: „Move Me“ bringt drei völlig verschiedene Tracks zwischen Pop, Country und Suicide-Anleihen, was auf die Jazz Butcher-Vergangenheit einiger Mitglieder hinweist. Besser als die Smiths, werden aber nie so viel verkaufen (Rough Trade, 4).
The Blue Orchids: „Sleepy Town“ ist mein absoluter Balkon-Hit. Schlagzeug, Rhythmusgitarre, knappe Keyboards und relaxter Gesang sind die wenigen Zutaten auf dem Laid-Back Hit der Fall-Gründungsmitglieder Martin Bramah und Una Baines (Rough Trade, 6).
The Fall haben ebenfalls eine neue Maxi, und die erneute Umbesetzung beendet die Pop-Experimente der letzten Maxis durch einen Rückgriff in die „Fiery Jack“-Ära: „Couldn’t Get Ahead“ klingt nach 1979, „Rollin Dany“ ist ein Rockabilly-Original. Sollte Mark Smith eine Pause brauchen? (Beggars Banquet, 5) Seine Ehefrau Brix Smith posiert derweil mit Paisley-Deko auf dem Cover von The Adult Net, einer Fall-Phantomgruppe, die den Strawberry Alarm Clock-Hit „Incense & Peppermints“ (1968) neu aufgenommen hat. Prima Platte, Prima Song, auch Brix‘ Stimme macht sich gut (Beggars Banquet, 5).
Als besondere Empfehlung sei hier die Gruppe Yeah Yeah Noh erwähnt, die zu John Peel-Favoriten gehören und den Geist britischen Agit-Rocks im Fall-Stil aufrechterhalten. Die drei Yeah Yeah Noh-Singles (7″) sind nun auf der Mini-LP When I Am A Big Girl zusammengefaßt (InTape/RTD, 5).
Coil: „Panic“ ist eine brauchbare A-Seite im Krach-Disco-Stil; die Version von „Tainted Love“ auf der B-Seite ist ein echter Killer mit endlos schleppendem Tempo, zerrenden Noise-Einschüben und völlig unbeteiligtem Gesang (Some Bizarre, 5) Ex-Pop Group-Sänger Mark Stewart singt auf seiner neuen Maxi „Hypnotized“ noch immer Zeilen aus der legendären ersten Pop-Group-LP. Heute läßt er sich von mutiertem Dub-Reggae begleiten, den Adrian Sherwood auf keiner anderen Platte so extrem einzusetzen wagt (Mute, 4).
Crime & The City Solution ist ein Deckname für Ex-Birthday Party-Mitglieder. Die Maxi EP The Dangling Man lebt von Rowland Howards kreischender, doch immer tonreiner Gitarre, die alle B.P.-Platten mitprägte. Der neue Sänger Simon Bonney braucht sich hinter Nick Cave nicht zu verstecken, wobei die Legende sagt, daß der ebenfalls aus Australien stammende Bonney Nick Cave seinerzeit das Singen beigebracht haben soll (Mute 5).
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