Rock-Spezialitäten

Man kann es nicht oft genug wiederholen: Die Pop Group gehörte zu Beginn der 80er Jahre zu den wichtigsten Vertretern eines politisch bewußten Heavy-Voodoo-Funk. Mark Stewart, ihr ehemaliger Meister-Sänger, setzte mit seinem Solo-Album LEARNING TO COPE WITH COWARDICE (1983) diese Tradition fort. Dub-Reggae-Technik, Funk, schwere Mega-Baß-Läufe und vor allem der harte Rhythm & Blues-Einschlag bestimmen auch Stewarts neue Maxi-Single SLAVE OF LOVE (Mute/ Intercord). Mark Stewart & Maffia – wir dürfen weiterhin auf die längst überfällige und versprochene zweite LP hoffen und warten! (6)

Zwei andere ehemalige Pop-Group-Mitglieder, Gareth Sager und Bruce Smith, bestimmen heute zusammen mit Neneh Cherry (Voc), Ollie Moore (Sax.), Sean Oliver (Baß) und Sarah Sarhandi (Viola) das Blues-Swing-Funk-Bild der Formation Hoat Up CP; das Album KILL ME IN THE MORNING (Rough Trade) steckt alle Working-Week- und Sade-Swing-Weichspüler in die Tasche! (5)

Nicht vergessen sollte man die New Yorker Beastie Boys. Sie bilden eine schmutzige Synthese aus Rhythmik. Hip Hop, Scratch und High-Techno-Metal-Rock! Auf dem Soundtrack KRUSH GROOVE (WEA Musik GMBH) leisten sie ihren Beitrag mit einem genialen „She’s On It“, das zwischen Black Sabbath („Paranoid“) und Art Of Noise liegt. Die amerikanische Antwort auf The Jesus And Mary Chain! (5)

Apropos The Art Of Noise: Nachdem sich die Gurus Paul Morley und Trevor Horn von den übrigen Band-Mitgliedern getrennt und ihre eigene Studio-Mannschaft unter dem Namen Art And Act formiert haben, spielen die innovativen Ur-Mitglieder weiterhin die bewährte, drum-orientierte Heavy-Electro-Pop-Musik; LEGS (Chrysalis/ Ariola-Import) ist eine Maxi, die reißt und melodisch faszinieren kann. (4)

Clint Ruin alias Jim Thirwell alias Scraping Foetus Off The Wheel explodiert & fasziniert derweil mit seinem neuesten Produkt aus der Hexen-Visionsküche: Das Album NAIL (Rough Trade) bringt alles, was man schon kennt & schätzt: melancholische Kosaken-Chor-Elemente über kreischendem Sythetik-Power-Pop. Thirwell brennt so tief in der Electro-Hölle. daß man einfach Aufmerksamkeit zeigen muß beim Hören des apokalyptischen Disco-Metal-Sounds. (5)

Ruhig, stimmungsvoll und fließend sind dagegen die Klangbilder, die das Lounge-Lizards-Mitglied Evan Lurie auf seinem Piano spielt. Die sechs Kompositionen auf der LP HAPPY? HERE? NOW? sind pure Phantasie-Musik, die zart improvisiert ist. (Les Disques Du Crepuscule/Normal, 5)

Treibende und tiefe Rhythmen, auf denen sich psychedelische Landschaften voll Wärme & Melodie ausbreiten, charakterisieren den Sound von Shriekback. Auf ihrer Maxi FISH BELOW THE ICE (Ariola Import) entstand eine überzeugende Wiederaufbereitung des gleichnamigen Originals von dem letzten Shriekback-Album OIL AND GOLD! (4)

Ein anderes und vielleicht definitives Werk der Gruppe kommt in Gestalt einer Greatest Hits-LP: THE INFINITE (Kaz Records) vereinigt von „Lined Up“, „Sway“, „Sexthinkone“ bis „My Spine“ und „Clear Trails“ in teilweise neuabgemischter Version die schönsten Shriekback-Momente – Hits, die nie in den Verkaufsparaden auftauchten. (6).

Play Dead versuchen seit langem, die tanzbare Seite von Killing Joke und all den anderen Rockern der Finsternis bewußt, gekonnt und verspielt zu imitieren und interpretieren. Dabei geraten sie mit ihren schleifenden Gitarren-Passagen und dem monoton-jagenden Schlag leider zu häufig ins öde Niemansland. Das Album COMPANY OF JUSTICE (Rough Trade) schimmert wie ein modisch aufbereiteter Zauber-Trunk. (3)

Finster-monoton, aber doch lustig, beschwingt und rhythmisch versetzt, klingt die letzte Maxi von X Mal Deutschland; SEQUENZ vibriert erstaunlich frisch unter der selbstauferlegten Heavy-Sound-Decke eines schwebenden Gotik-Pink-Floyd-Gerippe! (Rough Trade, 4)

Slaughter Joe, eine britische Band aus dem Stall des Labels Creation (das uns mit Jesus And Mary Chain beglückte), überraschen auf ihrer Maxi I’LL FOLLOW YOU DOWN mit Trance & Esprit: Sie koppeln bei ihren vier Songs den Bob Dylan zur Zeit seines „Tombstone Blues“ (1967) mit dem Zerr-Sound von Jesus And Mary Chain und der Manie von Sky Saxon & The Seeds. Eine Bereicherung in Sachen Vergangenheit & Super-Moderne! (6)

Bereits mit seiner Gruppe Bauhaus hat Peter Murphy anderer Leute Lieder gesungen (von John Cales „Rosegarden Funeral Of Sores“ bis Lou Reeds „Waiting For The Man“). Solo macht er so weiter: Für seine FINAL SOLUTION-Maxi vereinnahmte sich Murphy den gleichnamigen Pere-Ubu-Song. Wer das Original noch im Ohr hat, kann diese gezwungene Imitation allerdings vergessen. (Beggars Banquet, 2).

Sehr verhaltenen Pop-Blues von luxuriöser Eleganz bringt die neue Single „Edie“ (Beggars Banquet) von The Adult Net. Brix E. Smith, die Frau des Fall-Sängers, besingt hier mit naiver Extravaganz das Schicksal des Drogenopfers Edie Sedgwick (eine schillernde Figur aus der Andy Warhol/Factory-Umgebung, die vor vielen Jahren verstarb). (5)

Und wieder einmal hat Lou Reed auf einem Soundtrack (WHITENIGHTS/WEA) mit einem brillanten Beitrag zugeschlagen: „My Love Is Chemical“, geschrieben von W. Aldridge, ist ein traumhafter Mitternachts-Bossa-Nova, bei dem Reed sein Boogie-Feeling beweisen kann – wie einst auf seiner LP THE BELLS. Trotz der übrigen durchschnittlichen Soundware lohnt sich dieser Soundtrack, eben Lou wegens! (5)

Das Label New Rose überrascht, wie jeden zweiten Monat im Jahr, einmal wieder mit diversen interessanten Veröffentlichungen: Die ehemaligen Gun-Club-Musiker Patricia Morrison und Kid Congo Powers liegen unter dem Bandnamen Für Bible ganz in der rüden Tradition des mondänen Voodoo-Rockabilly a la Cramps. Die Maxi heißt PLUNDER THE TOMBS. (4)

Die Cramps selbst bieten auf ihrer neuen Maxi CAN YOUR PUSSY DO THE DOG? mehr oder weniger gewohnte Töne: Rockabilly mit einem Schuß Manie. Leider nicht so überzeugend, diesmal. (3)

Die Maxi der Bostoner Band The Lyres fällt da heraus: herrlicher 60er-Jahre-Trash-Beat, so stilvoll, wie ihn einst Mark & The Mysterians spielten. (5) Der Blues-besessene Tav Falco gefällt, wie immer auf dem Mini-Album SUGAR DITCH REVISTED. Begleitet vom psychedelischen Gitarristen Alex Chilton (ex-Box-Tops) gräbt Falco weit unten im historischen Memphis-Blues-Rockabilly, um darauf seine ureigene Vision auszubreiten. (5)

Zwei Cramps, Lux Interior & Ivy Rohrschach, haben das Mini-Album der Mad Daddys MUSIC FOR MEN produziert und ihm den manischen Rockabilly-Trash-Cramps-Sound verliehen. Die Mad Daddys können durch ihre totale Überdrehtheit gefallen. (4)

Der Gitarrist Mike Wilhelm hat Geschichte: Von den Charlatans über Loose Gravel bis zu den Flamin Groovies spielte er überall dort, wo ein typischer San-Francisco-Beat den Sound prägte. Auf seinem Solo-Album MEAN OL’FRISCO kann man die zerrenden Blues- und Country-West-Töne hören, die man von ihm seit Jahren kennt. Mit dabei sind u.a. zwei ehemalige Mitglieder von Quicksilver Messenger Service. (5)

Die Amerikaner Mission Of Burma haben sich für ihr Album THE HORRIBLE TRUTH ABOUT BURMA zwei Songs aus der jüngsten Vergangenheit gegriffen: „1970“ von den Stooges und „Heart Of Darkness“ von Pere Ubu interpetieren sie verzerrt und hart-dimensional. Rock ’n‘ Roll (teilweise Live-Aufnahmen) mit ungeheurem. Drive & Esprit! (6)

Und genau in diesem Sinn ist auch das Werk der Kissing Bandits aus Glasgow zu empfehlen, das sich unter dem Titel THE SUN BROTHERS anbietet. (4) (Alle New-Rose-Platten über SPV.)

Die Formation des düsteren Maschinen-Sounds, SPK, HULA und General Strike (D. Toop & S. Beresford), versammeln sich mit ihren synthetischen Soundvisionen auf dem Sampler MYTHS 2 SYSTEM OF FLUX & ENERGIES (Normal). Wer es liebt, im gleißenden Neonlicht zu tanzen, sollte dieses Album besitzen! (4)

Das New Yorker Cassetten-Label Roir (in Deutschland von 235/Köln vertrieben) veröffentlicht zwei beeindruckende Dokumente: 96 TEARS FOREVER ist ein Live-Mitschnitt der 1984 reformierten Tex-Mex-Trash-Combo Question Mark And The Mysterians – sie klingen immer noch faszinierend in ihrem unbekümmerten Charme! Natürlich ist ihr Mega-Hit aus den 60ern. „96 Tears“, dabei. Christian Death aus Los Angeles liefern mit LIVE IN HOLLYWOOD atmosphärische Voodoo-Klänge, die sowohl Velvet Underground als auch The Dream Syndicate im Rücken haben! Einfach genial! (Beide: 6)

Das Gefühl der 60er Jahre (Beat/Manie/Rock/Psycho) offenbart sich in modernisierter Frische bei den folgenden Bands: The Nomads mit der Maxi SHE PAYS THE RENT- roh & frech-naiv mit viel Gefühl für den wahren Rhythm & Blues! (Closer, 5) Das Album TIM von den Replacements sollte zunächst von Alex Chilton produziert werden, doch erscheint er nun nur als Hintergrundsänger. TIM leuchtet dennoch wie eine Mischung aus Ramones und Moby Grape, also melodisch und hart! (Sire/TIS, 5)

Das neue Album der Rain Parade CRASHING DREAM klingt sehr entspannt. Sie beherrschen die kühlen Melodien, die unter einem Psycho-Pop liegen. (Island/Ariola-Import, 5) Die australischen Hoodoo Gurus enttäuschen dagegen auf MARS NEEDS GUITARS (Chrysalis/Ariola-Import); ihr Rock bleibt zu sehr im Durchschnitt hängen – der LP-Vorgänger STONEAGE ROMEO hatte einfach mehr Kraft! (3)

Sehr schönes West-Coast-Gefühl mit leichtem Country-Pop strahlt das Album TOWN AND COUNTRY der Rave-Ups aus – als Gast tritt der Ex-Flying-Burrito-Brother-Gitarrist Sneaky Pete Kleinow auf. (Line Recs., 4)

Zum Schluß noch ein Höhepunkt des Garagen-Surf-Beats: Das Doppelalbum der Vietnam Veterans, GREEN PEAS, läßt sich ohne Zweifel in eine Reihe stellen mit dem Seeds-Werk RAW AND ALIVE. Sehr schmutzig, sehr treibend! (Rimpo, 5)