Rock-Spezialitäten

Genesis P. Orridge, Sänger von Psychic TV, hat sich dem Trend der Neo-Psychedelia angeschlossen: Auf der neuen Single „Godstar“ befreit er naiv & schön den toten Rolling Stone Brian Jones, der sein psychedelisches Leben bekanntlich ganz unromantisch in einem Swimmingpool beendete. Die Single orientiert sich so sehr an eingängigen Pop-Melodien, daß man beim Hören nie auf Psychic TV tippen würde — wenn da nicht der Schriftzug auf dem Cover wäre! „Godstar“ ist ein milder Ohrwurm, der die Gruppe vielleicht endlich in die Hitparade bringen wird. (Temple Records. 4)

Was Bands wie Rain Parade und Del Fuegos nur versprechen —- The Thin White Rope aus Kalifornien haben’s: zwingende Sounds & Visionen! Die LP EXPLORING THE AXIS (Zippo/TIS) vermischt das Gefühl des guten alten Psycho-Beats mit treibendem Rockabilly-Sexbeat. Allein „Disney Girl“ mit schleichender Feedback-Gitarre und Zeitlupen-Gesang („You are my disney girl, too many fingen for your world“) ist den Kauf dieser Platte wert. (6)

Direkt aus den amerikanischen Vorstadtgaragen der 60er Jahre scheinen die Crawling Walls herüber in die 80er gekommen zu sein. INNER LIMITS (Lolita/Intercord-Import) hat den quirligen Orgelsound, den so manche Trash-Beat-Formation in den 60ern zu ihrem Markenzeichen machte (wie Question Mark & The Mysterians). (4)

Einen weiteren Höhepunkt des Monats liefern Poison 13 mit HELLBOUND TRAIN (Music Action/ SPV): Mit einer höllischen Slide-Gitarre breitet diese Gruppe einen zerrenden Blues-Rock aus. Überraschend intelligent die Version von „Blank Generation“ (Richard Hell) und „When I Was Young“ (Eric Burdon). (5) Der einstige Gun-Club-Gitarrist Ward Dotson legt mit DOLL HUT (Torso/SPV) das zweite Album seiner Gruppe The Pontiac Brothers vor. Solider, traditioneller Rhythm & Blues, der durch einen rüden Einschlag der Gitarren gefallen kann. (3)

Schnell, rücksichtslos und gekonnt spielen die australischen Screaming Tribesmen und die schwedischen Nomads ihren kantigen Psycho-Beat. Das Album OUTBURST der Nomads vermittelt einen repräsentativen Einblick in die Sound-Geschichte dieser manischen Beat-Combo. Und die „Date With A Vampire“-EP der Tribesmen rüttelt hart und rockig den Sound der 60er wach! (Beide: What Goes On / EfA, 5).

Musikalisch völlig anders dagegen klingen Psychic TV auf dem Album MOUTH OF THE NIGHT (Temple Records). Die Gruppe hat hier für die Mantis Dance Company eine eindrucksvolle Ballettmusik komponiert: Voodoo-Stammesklänge aus dem Karibikdschungel verschmelzen mit elektronischen Soundlandschaften, die wiederum versetzt sind mit avantgardistisch-verfremdeten Folk-Elementen. Vereinzelt klingen die Kompositionen wie Extrakte aus der „Mole-Show“ der Residents. (5)

Von David Sylvian gibt es eine Cassette. die neben seiner letzten Maxi „Words“ einen eben nur hier erhältlichen Soundtrack bietet (zum Sylvian-Kurzfilm „Steel Cathedrals“). Unter Mitwirkung von Robert Fripp, Ryuichi Sakamoto und Holger Czukay hat Sylvian fernöstliche, meditative Sound-Elemente vermischt mit leichten Jazz-Einschüben. Das Tape ALCHEMY AN INDEX OF POSSIBILITIES (Virgin) ist ein atmosphärischer Erguß, der die letzten Eno-Kompositionen in den Schatten stellt. (5)

Thomas Leer, der elektronische Multi-Instrumentalist, der einst zusammen mit Robert Rental düstere Industrieklänge fabrizierte, scheint sich heute auf leichte, warme Klänge zu konzentrieren; sein Album THE SCALE OF TEN (Ariola-lmport) fließt harmonisch dahin, ein elektronischer Sex-Sound garantiert gefühlvolle Augenblicke. (4)

In ähnlicher Stimmung schwingen The Wake: melancholische Pop-Balladen, baßlastig und im Klang der Gitarren und Keyboards New-Orderverwandt. HERE COMES EVERYBODY (Factory/Rough Trade) überzeugt vor allem nach mehrmaligem Hören. (4)

Die Amerikaner Minutemen gehören mit ihrem Polit-Rock zu den derzeit wichtigsten Vertretern dieser Stilrichtung. Nachdem ihr Sänger/Gitarrist Dale Boon durch einen Verkehrsunfall ums Leben kam, muß man befürchten, daß 3-WAY TIE (FOR LAST) das letzte Album dieser Formation sein wird.

Noch einmal bekommen wir rohen Rhythm & Blues und hämmernden Rock-Beat vom besten. Neben den eigenen Kompositionen sind es vor allem ihre Cover-Versionen, mit denen Boon und seine zwei Mitspieler faszinieren: „The Red And The Black“ von Blue Öyster Cult, „Have You Ever Seen The Rain“ von John Fogerty und die unglaubliche Interpretation des Roky Erickson-Titels „Bermuda“, den der Bassist Mike Watt mit akustischer Gitarre übers Telefon singt. (SST, 6)

Wenn man Lou Reeds „wilde“ Phase von 1974 (ROCK ‚N‘ ROLL ANI-MAL) und 1982 (THE BLUE MASK) nimmt und dazu einen Schuß Speed-Metal mischt, bekommt man ziemlich genau ein Bild der schwedischen Leather Nun. Ihr Live-Album ALIVE und die neue Maxi „506“ zerren hart an den Nerven. (Wire Records/ Rough Trade, 5)

EDGE OF TOWN heißt das Album der Commandos aus Austin/Texas, das im kristall-klaren Klangbild bestimmt wird durch den voluminösen Gesang von Suzy Elkins. Die Rockabilly-Songs mit einem Hauch von C&W erinnern an die Pretenders und Creedence Clearwater Revival. (Torso/SPV, 4)

Don Dixon, bekannt geworden durch seine Produzententätigkeit bei R.E.M. und Let’s Active, hat ein wirklich brillantes Album gemacht: MOST OF THE GIRLS LIKE TO DANCE BUT ONLY SOME OF THE BOYS LIKE TO (Demon/TIS) hat nicht nur versierte Musiker versammelt (darunter der Gitarrist Mitch Easter von Let’s Active), sondern auch großartige Kompositionen, die zwischen Steve Miller und Bruce Springsteen liegen. Amerikanischer Rock mit Pop-Elementen. (5)

An dieser Stelle sollte noch auf die Cassetten-Ausgabe des letzten Green On Red-Albums NO FREE LUNCH hingewiesen werden. Denn nur auf dem Tape befindet sich eine 13minütige Psycho-Version des Klassikers „Smokestack Lightning“! (Mercury/ IMS, 4)

Von den Wipers, die in dieser Rubrik oft genug befeiert wurden, gibt es ein neues Werk — mit Live-Aufnahmen aus dem Jahr ’84. Hart und treibend beweisen die Wipers, daß auch traditioneller Rock ’n‘ Roll durchaus modern gespielt werden kann. (Enigma/lntercord-Import, 5)

Die legendären Swell Maps haben bisher nicht nur die genialen Solo-Stars Nikki Sudden und Epic Soundtrack hervorgebracht — sondern auch Jowe Head! STRAWBERRY DEUTSCHE MARK (Constrictor/EfA) liegt ganz abgedreht im elektrischen Hagelschlag einer Neo-Psychedelia, zwischen The Jesus And Mary Chain und Syd Barret. (5)