Rolling Stones – Some Girls
Man kennt die Titel jener Sexfilme, die scheinbar offen verklemmte Körperlichkeit darbieten: „Unterm Dirndl wird gejodelt“ oder „Die lustigen Holzfäller der nickenden Fichten“. Spießbürgerliche Vatis gelten als Hauptkonsumenten solcher Streifen, die ja bereits im Filmtitel augenzwinkende Doppeldeutigkeiten vermitteln. Man braucht bloß „nickende Fichten“ falsch auszusprechen, schon prustet die Kollegenschaft im Büro los und alle sind sich einig, wie triebhaft doch die Welt ist.
Wer indes denkt, solcher Sexualhumor billigster Machart sei ein Privileg der Endvierziger, mit dem die jüngere Generation sowie deren Vorbilder nichts am Hut hätten, sieht sich herb enttäuscht. Das Cover der neuen Stones-LP (siehe Abbildung der Rückseite) ist nicht nur eine billige Onaniervorlage altväterlicher Machart, auf der BHs mit mühselig lasziv dreinblickenden Damen garniert sind, sondern birgt sogar Witziges. Oben links steht dickgedruckt „Perma-Styled“ – und der ausgefuchste Stammtisch-Erotiker blickt natürlich sofort voll durch: Da muß man nur ein „S“ vorsetzen, schon erhält man den Effekt nickender Fichten. Irre originell, nicht? Rolling Stones 1978!
Musikalisch steckt hinter der unsäglichen Hülle allerdings Hochkalibriges. Die aktuelle Single „Miss You“ fällt sogar gegenüber einigen anderen Songs noch ab. Die Version des Motown-Klassikers „Just My Imagination“ klingt scharf und schneidig, „Lies“ könnte glatt auf jeder LP irgendwelcher Punks erscheinen, „When The Whip Comes Down“ zeigt ebenfalls Keith Richard’s riffige Gitarrenarbeit. Seite zwei birgt mit „Far Away Eyes“ den meiner Meinung nach schönsten Song, mit amüsantem Text, Country-Schlag und ganz in der Tradition von „No Expectations“ oder „Country Honk“, wonach dann mit „Respectable“ wieder punkhaftes kommt. Die restlichen Songs „Before They Make Me Run“, „Beast Of Bürden“ und „Shattered“ liegen ebenso voll auf der Linie der Rückbesinnung auf weißen R&B und Rock’n‘ Roll – in „Before They Make Me Run“ könnte man leicht die Textzeile „Get Your Kicks On Route 66“ einbauen. Ob solches nun die Antwort der Stones auf die New Wave ist, wie manche meinen, oder die längst fällige Frischzellenkur, die die Stones der New Wave verdanken, wie andere sagen, oder einfach ein Blick nach hinten, der die Band wieder weit nach vorn bringt, bleibt dabei völlig unerheblich. Die Platte läßt alles seit „Let It Bleed“ weit hinter sich und zeugt von immer noch vorhandener Aktualität der Band. Rolling Stones 1978!
Nun wäre alles eitel Sonnenschein, wenn auf Seite eins nicht noch ein Song erklänge, der die Sache mit dem Cover bedenklich unterstreicht: „Some Girls“. Man ist geneigt zu fragen, ob die Band neben dem drogenabhängigen Keith Richard noch einen weiteren Kranken beherbergt – Mick Jagger, der möglicherweise zu sich selbst wie auch zu Frauen ein gestörtes Verhältnis zu haben scheint. „Some Girls“ klingt wie die Leier vom ewig Weiblichen und daher ewig Schlechten, entsprechend der Galerie der BH-Trägerinnen auf dem Cover. Frau nicht als Individuum, sondern als Sexualobjekt, als zweitklassiger Mensch mit dem Wesentlichen zwischen den Beinen. Mick, der Kenner aller Vaginae dieser Welt, zieht Bilanz: „Französische Mädchen wollen Cartier, italienische Autos, amerikanische alles in der Welt, was du dir vorstellen kannst“. So einfach ist das mit der Einordnung.
Aber weiter: „Manche Mädchen sind korrupt“ (soll’s ja geben), „Manche drehen mir Kinder an, obwohl ich sie doch bloß einmal bebumst habe“. Wie schlecht doch die Frauen sind. Kommt der Mick auch nur einmal ihrem Wunsch, begattet zu werden, nach, schon hintergehen sie ihn und drehen ihm was an. „Weiße Mädchen sind hübsch lustig“, Mick sei Dank, aber: „manchmal machen sie mich verrückt“. Die Bösen. Und dann, als ob es nicht alle Porno-Filmer schon seit je gewußt hätten, kommen die schwarzen Mädchen: „Schwarze Mädchen wollen bloß die ganze Nacht hindurch gefickt werden, aber so viel Sperma hab‘ ich doch gar nicht“. Man kann sich richtig vorstellen, wie Mick, der gütige Lebenshelfer in sexuellen Notlagen, ganz besonders von schwarzen Mädchen beansprucht wird: Bis zum Gehtnichtmehr.
Und Mick’s Image gewinnt jetzt natürlich völlig neue Dimensionen: Der inoffiziell bekanntgewordene Orgien-Film einer Stones-Tournee, der riesige Gummipenis der Konzerte von vor zwei Jahren, überhaupt das gesamte „I’m A King Bee“-Gehabe dieses MANNES ist wohl Zufall, von der hinterlistigen Weiblichkeit aufgezwungen. Und Mick brüllt endlich seine Pein heraus: „Some Girls“ ist der Aufschrei des von den Frauen verfolgten Mannes Jagger. Rolling Stones 1978! Wäre nett, wenn Jagger statt seines Penis mal öfter seinen Verstand benutzen würde!