Santogold – Santogold :: Die Platte des Monats
Die Wahrheit ist: Es gibt kein erstes Mal. Weil wir die Geräusche aus dem Mutterbauch der Popmusik alle schon kennen. Es gibt die große Illusion vom ersten Mal, die uns von den flüchtigen Essenzen des Pop in die Nase steigt, die Stirnhöhle entlangkrabbelt, im Kopf landet und in die Welt gesetzt wird. Jeder hat Songs wie diese: „Ride A White Swan“ (T. Rex), ein ziemlich verwirrendes Stück Musik für einen jungen Menschen kurz vor der ersten Pickelcreme, „Planet Claire“ (B-52’s), die pinkfarbene Rakete, die ein paar dumme Jungs und Mädchen in die Astraldisco schickt. Danach ist die Welt nicht mehr, was sie war – das wusste man ganz sicher.
„Creator“ von Santogold gehört zu dieser Sorte Song, die seltsame Signale an das Großhirn schickt. Symptome: Kopfprickeln, Konfusion und deutliche Google-Lust. Da ist der Donner der Basstrommel, der majestätische Polybeat, das irrwitzige Gekiekse, kaum zu lokalisieren – kann so eine Trompete klingen, oder ist’s nur ein Hilfeschrei vom „Planet der Affen“? Es ist das onomatopoetische Wunder Santi White, das sich mit Oszillatorensounds aus der Steinzeit des Pop zu einem garganruesken Monster verbindet, ein Mash-Up aus Mensch und Maschine, wenn man so will. Und untendrunter läuft ein avantgardistisches Dancehall-Stück aus der privaten Schöpfungsgeschichte einer ehemaligen Punkrocksängerin: „Me, I’m a Creator / Thrill is to make it up / The rules I break got me a place/ Up on the radar.“
„Creator“ ist der Santogold-Track, der am längsten draußen im Netz ist, aber die halbe Platte war eine Ewigkeit unterwegs, nur um die Sensation in die letzten vernetzten Winkel zu tragen, die Idee „Santogold“ im Mix von Kritik und Fan-Blogs stärker zu platzieren. Es ist in der Zwischenzeit viel über eine Renaissance des Black Rock geschwätzt und Santogold als M.I.A.-Rip-Off gedisst worden – damit muss jetzt Schluss sein, santogold, die Platte, entwickelt einen ganz anderen Jive, wenn man die Geschichte von Santi White kennt, die auf der anderen Seite des Rock’n’Roll beginnt. Sie verschwendet ihre späte Jugend als A&R-Assistentin einer Major Company, schreibt Songs u.a. für Res und Ashlee Simpson, sie will mit dem Kopf durch die Wand in dieser Punk-Band namens Stiffed, sie ist leidlich erfolgreich.
Vielleicht eine späte Einsicht aus der unerquicklichen Business-Lehre: Dem Verlust der Identität im Indie-Rock Dschungel war eben doch nur – Achtung, hier kommt die Marktstrategin Santi ins Spiel – mit einer Erweiterung des Rollensets beizukommen. Mit santogold hat Santi White mindestens zwei Platten auf einmal veröffentlicht, deren Ingredienzen auf verschlungenen Pfaden zueinanderfinden, aber jederzeit auch für sich stehen: das knackige Wave-Rock-Ding mit Ex-Bandkollege John Hill, das schon mal an die Pretenders oder die Cars erinnert, und die abseitigeren bis apokalyptischen Breakbeat-HipHop-Deklamationen mit den Electro-Produzenten der Stunde – Diplo, Switch, Freq Nasty, mit Naeem Juwan alias Spank Rock. Sie hat in der Zwischenzeit noch mehr neue Freunde gesammelt, mit Björk live gespielt und mit Mark Ronson das Paul-Weller-Stück „Pretty Green“ für das Versions -Album aufgezeichnet. Doch Nachhilfe ist gar nicht nötig. Santi White ist gut aufgestellt („I’m A Lady“), sie definiert sich und ihre Sphären Track für Track. Die Songs kreisen im Gegensatz zum polternden Guerilla-Pop der glamourösen Globalisierungsgegnerin M.I.A. um das Ego der Künstlerin, das sich weit aus den HipHop-Blocks in Bedford-Stuyvesant/Brooklyn herauslehnt. Nachzuhören zwischen den hüpfenden Synthie-Bässen und gepitchten Beats von „Unstoppable“.
Im Hypersound aus New Wave, Dub und Electro aber lösen sich alle Erzählungen alsbald in bunte Nebel auf, Santi White hat Spurenelemente ihrer Lieblingsmusiken aus der Erinnerung gekramt und spuckt sie nun mit Vollpower in alle Richtungen aus. Ein Schelm, wer meint, sie hätte damit auf Kolleginnen wie M.I.A., Lily Allen und Lady Sovereign gezielt. Die Amalgamierungen, die die Künstlerin mit ihrem Produzentenstab entwickelt, setzen aber sehr wohl Markierungen, sie sollen billiger als das schicke Soundgold daherkommen, das die Neptunes und Timbalands den funky Babes ihrer Wahl verpassen. In „L.E.S. Artistes“ lauschen wir der Wiederauferstehung des Powerpop aus den Ruinen des Gospels, im Remix von „You’U Find A Way“ fällt der R’n’B in eine Echokammer, die seit den letzten Sessions von King Tubby nicht mehr geöffnet worden ist. Es dröhnt in diesen Minuten so fremd. Ich habe das Album immer wieder gehört und weiß vor lauter Aufregung heute noch nicht, wo ich mit diesem Songdutzend bin. Ich weiß nur: So hört sich das erste Mal an. Ohne Santogold wird kein „Best Of“ dieses Jahres geschrieben werden.
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