Scorpions – Lovedrive

Die Erfolgskurve der Scorpions zeigt steil nach oben. Den durch ihre letztjährige Live-LP „Tokyo Tapes“ signalisierten Aufschwung haben sie mit „Lovedrive“ mehr als bestätigt. In den ersten sechs Wochen nach Veröffentlichung hat sich diese LP allein in Deutschland 100.000 mal verkauft. Keines ihrer vorangegangenen Alben hat hier je solchen Anklang gefunden. Aber der Erfolg ist nur verständlich, denn die Scorpions spielen besser denn je.

Ihr Selbstbewußtsein hat mit der erfolgreichen Japan-Tournee reichlichzugenommen. Sonnige Gemüter und optimistisch waren die Hannoveraner schon immer. Jetzt erscheinen sie noch einige Grade zielsicherer und bestimmter. Denn „Lovedrive“ ist ein Album aus einem Guß. Die Richtung ist klar: melodiöser Hardrock. Homogener und gitarrenbetonter Sound. Kollektivmusik. Keine Ego-Trips. Voll in den Körper. Und auch noch spezieller: „Für uns hat Rock mit Sex zu tun“ (Sänger Klaus Meine). So etwas könnte leicht monoton werden. Nicht so bei den Scorpions. Denn die einzelnen Stücke zeigen eigenes Profil. An dieser Stelle ein dickes Kompliment an Gitarrist Rudolf Schenker, der fast sämtliche Musik komponiert hat.

„Always Somewhere“ und „Holiday“ bilden zwei Oasen erholsamer Ruhe im Hardrocksturm. Das erste eine sanft bis pathetische Ballade, die ein bißchen melancholisch stimmt, das zweite hält, was der Titel verspricht: eine zarte Brise wohliger Entspannung. Der als Single ausgekoppelte Reggae „Is There Anybody There?“ bringt eine weitere Kontrastfarbe. Man hört ihm an, daß er nicht unter karibischer Sonne gemacht ist, sondern in härteren Klima und in harter, hektischer Industrielandschaft.

Er kommt nicht leicht und halbtrunken (sprich halbtrunken, denk‘ bekifft) dahergewippt, sondern geht viel präsenter und offensiver ab.

Der heimgekehrte Bruder Michael Schenker zeigt mit seinen drei Beiträgen blindes Verständnis. Mehr als das, er brilliert in dem spritzigen Tempostück „Another Piece of Meat“, spielt zurückhaltend souverän in der lässig, satten Instrumentalnummer „Coast To Coast“ und setzt dem kraftvoll dalünschießenden Titelstück „Lovedrive“ ein Glanzlicht auf.

Was für eine seltene, beneidenswerte und zugleich prekäre Situation für eine deutsche Rockband, daß sie zur Zeit dieser LP-Produktion zwischen zwei ausgezeichneten Gitarristen wählen konnte. Der letztes Jahr nach Uli Roth als Lead-Gitarrist eingestiegene Matthias Jabs (ex-Lady) mußte verkraften, daß der Schenker-Bruder Michael (Ex-Scorpions, Ex-UFO) wieder zurückkehrte. Was Jabs auf diesem Album abgeliefert hat, und das ist bei weitem das Gros der Gitarrenarbeit, kann man nur eine heiße Empfehlung nennen. Wenn er jetzt auch nicht an dem weiteren Höhenflug der Scorpions (Europa-, Japan- und USA-Tournee) teilhaben kann, braucht man sich um ihn dennoch keine Sorgen zu machen.