Scritti Politti – Songs To Remember
Wer SONGS TO REMEMBER unvorbereitet und nur nebenbei zum ersten Mal hört, der könnte leicht enttäuscht werden: Oberflächlich betrachtet, klingt das Album nämlich so, als hätte Paul Simon ein paar Njuwäif-Demos aufgenommen. Aber schon beim zweiten, konzentrierten Hinhören wird dieser fade Eindruck weggespült von einer sprühenden Ideen-Vielfalt in der Musik von Scritti Politti, von wohlvertrauten Pop-Rhythmen, von alten Harmonien in neuen Zusammenhängen und von Texten, über die man sofort mehr wissen möchte. Green Garthside, dem Kopf von Scritti Politti, kommt das große Verdienst zu, im Zuge der derzeitigen Rückbesinnung und Neudefinition der Pop-Qualitäten endlich auch die Größten des Pop aus den Klauen der Hausfrauen-Radiomagazine gerissen zu haben: die Beatles. Der Song „Jacques Derrida“, Garthsides Hommage an den französischen Philosophen und gleichzeitig die neue Single von Scritti Politti, beginnt eindeutig mit der Akkordfolge, dem Silbenfall und dem Arrangement von .1’ve Just Seen A Face“. Sogar das absolut unmoderne Tambourin schlägt denselben Rhythmus im selben Tempo, der pendelnde Bass klingt wie 1 Paules uraltes Höfner-Modell. Aber sonst sind Qarthside und Scritti Politti voll auf der Höhe der Zeit. Sie sind eine der wenigen Bands, die das heutzutage oft bemühte Zitieren einzelner Musikstile wirklich beherrschen, bei denen zum Beispiel der obligatorische Funk-Bass nicht wie eine Pflichtübung klingt. Garthside überschlägt sich beim Verweisen auf seine verschiedensten Quellen: Das Kontrabass-Solo in .Rock-A-Boy Blue“ könnte fast von Charles Mingus stammen (oder von dessen Schüler Danny Thompson), die Vocoder-Passagen in „Faithless“ erinnern an die samtige Weichheitvon AI Stewart (Schlagt mich nicht! Es ist so!). Und trotzdem sind Scritü Politti nie so abgeschmackt und berechnend wie das Pop-Establishment. Sie spielen immer wieder quer, lassen aufgenommene Fäden blitzartig fallen und modulieren im Zickzack-Kurs durch die Harmonielehre. Beide LP-Seiten werden zum Ende hin besser, dort stehen jeweils die vorausgegangenen Maxis „Faithless“ und .The ‚Sweetest‘ Girl“. Einzig der Höhepunkt Jacques Derrida“ ist in die Steigerungskurve zwischengeschaltet. Was trotz aller Pluspunkte noch fehlt, ist die innere Geschlossenheit, die rückhaltlose Überzeugungskraft, die SONGS TO REMEM-BER von wirklich phänomenalen Pop-Alben wie ABCs LEXICON oder Heaven 17s PENTHOUSE noch trennt. 5 Karl Kraut
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