Serge Gainsbourg – 18 Re-Releases :: Chansons und Mehr

Ein wenig wunderlich sind sie schon, diese Franzosen. Vor allem dann, wenn es um ihre sprachliche Identität geht. Im Radio gibt’s schon lange eine Quote, die den Anteil französischsprachiger Musik regelt, Computer heißen im Schatten des Eifelturms „ordinateur“, und der Rock ’n‘ Roll firmierte lange Zeit als „Yeye“. Frankreich geht den Franzosen über alles. Allerdings nicht allen: Serge Gainsbourg war zwar in Paris geboren, aber trotzdem alles andere als ein typischer Franzose. Dafür war er zweifellos der, der hemmungslos wie kein anderer aus diesem Land Rock ’n‘ Roll und Artverwandtes mit Inhalt füllte. Quel scandale, als er 1979 mit Sly & Robbie AUX ARMES ET CAETERA aufnahm und auf der Platte die Nationalhymne durch die Reggae-Mühle drehte. Rechtsradikale drohten ihm mit Bomben, die grande nation echauffierte sich. Und Gainsbourg? Der pustete daraufhin im Farbfernsehen Kondome auf, sang vor uniformierten Veteranen die Nationalhymne a cappella und spendierteden Soldaten a.D.anschließend den Stinkefinger. Gainsbourg war Poet und Sänger, Regisseur und Schauspieler, Melancholiker und Alkoholiker- und der Prototyp des französischen Machos, dessen Image einige Konstanten bot: immer geil, immer eine Kippe im Mundwinkel, immer ein bisschen neben der Spur, immer ein bisschen angeranzt. Mit einem anderen Satz: ein höllisch interessanter Bursche. Und ohne Frage ein Könnender musikalisch nie dingfest zu machen war das beweisen eindrucksvoll die 18 Alben, die jetzt inklusive miniaturisierter Original-Cover und mit deutschen Textübersetzungen wieder veröffentlicht werden. Chanson, Schweinerock, Reggae und Dubbiges, Latin, Pop und NewWave-all das hat Gainsbourgs OEuvre in petto. Beziehungsweise: in Petting. Auf der Platte JANE & SERGE, seiner ersten Zusammenarbeit mit Jane Birkin, deklarierte Gainsbourg das Jahr 69 kurzerhand zum „Annee erotique“ und zelebrierte mit Spaß an der Freud seine Liebe zu Jane Birkin öffentlich. Unstrittiger Höhepunkt des für die damalige Zeit unerhörten Gebarens:“Je t’aime…moi non plus“, das in einer Studio-Orgie zusammengestöhnte „Anti-Ficklied“ (Gainsbourg). Der Song geriet 1969 zu seinem größten kommerziellen Erfolg, war aber letztlich nur ein Skandal unter vielen. Ein weiterer: „Evguenie Sokolov“, ein Song vom Album MAUVAISES NOUVELLES DES ETOILES. Das Lied besteht aus nichts anderem als hemmungsloser Furzerei, unterlegt mit einem luftigen (sie!) Reggae-Rhythmus – nie wurde Flatulenz im terminalen Stadium musikalischer aufbereitet. Gainsbourg ob dieser pubertären Juxerei allerdings als schlicht gestrickten Schweinigel darzustellen,greift zu kurz. Dem steht vor allem das wohl kontroverseste aller Gainsbourg-Alben entgegen: ROCK AROUND THE BUNKER. Musikalisch pendelt die Platte zwischen Honkytonk-Rock und Boogie-Woogie, thematisch knöpft sich Gainsbourg,derals Jude russischer Herkunft einen Onkel hatte, der in Auschwitz starb, das Dritte Reich vor. Gainsbourg lässt nicht nur die Puppen, sondern auch Otto, die Teutonentunte, tanzen, die deutschen Soldaten tragen Strapse, und „Adolf“ reimt sich auf „Katastroph“‚. Mal boshaft-zynisch, mal ironisch-leicht nimmt Gainsbourg die Nazi-Ideologie auseinander und dekonstruiert die Jahre von 1933 bis ’45 als Rock ’n‘ Roll-Phänomen. Kommerziell war das ein Desaster, in der Breitenwirkung jedoch nicht zu unterschätzen – und Menschen, die gut und gerne Zyniker sind, hatten beim Hören der Platte möglicherweise das, was Gainsbourg bei den Aufnahmen zur Platte erlebte: einen inneren Reichsparteitag. Stilwechsel, Zeitrolle rückwärts und eine sentimental verklärte Erinnerung. An Brigitte Bardot als die sich noch nicht darüber echauffierte, dass andere Kulturen Hunde de facto zum Fressen gern haben, sondern einfach cool und anbetungswürdig war. So cool und anbetungswürdig, dass Gainsbourg ihr 1968 mit dem Album INITIALS B.B. huldigte, sich dabei von britischem Pop inspirieren ließ und im Duett mit B.B. das großartige „Bonnie&Clyde“ sang. Pop, das sagt uns dieser Song über das berühmte Gangsterpaar unmissverständlich, hat immer auch was mit poppen zu tun: Gainsbourg und B.B. erlebten 1968 ihren kurzen, heftigen „summer of love“. Vier Jahre vor der Liaison mit Bardot lebte Gainsbourg eine andere Liebe aus: die zu Latin-Songs, auf dem Album GAINSBOURG PERCUSSIONS. Vor rhythmischer Kraft und beschwingter Melodiösität strotzende Songs wie „Pauvre Lola“ und „New York – U.S.A.“ zeugen davon, dass diese Liebe nicht unerwidert blieb. Ein kurzer Blick auf die Alben eins bis vier und ein ganz entschiedener Hinweis auf SERGE GAINSBOURG NO. 2.: ln“Le Ciaquer De Doigts“ verheiratet Gainsbourg kongenial Jazz-Splitter und Chansoneskes, und in „Mambo Miam Miam“ leuchten erste Latin-Einflüsse. Bleibt, mit viel Mut zur großen Lücke im umfangreichen Schaffen des Serge Gainsbourg, eine Schallplatte aus der Spätphase. LOVE ON THE BEAT, seine Vorletzte, war Bowies“Let’s Dance“nicht unähnlich-und noch einmal für einen Skandal gut. Gainsbourg machte sich einen Heidenspaß daraus, mit den Themen Bisexualität und Androgynität zu spielen, und duettierte sich in dem ätherischzarten Elektro-Popsong“Lemon Incest“ mit seiner minderjährigen Tochter Charlotte, ein Kind aus der Beziehung zu Jane Birkin. Charlotte konnte die Aufregung nicht nachvollziehen. „Der Text ist doch so unschuldig“, sagte sie,“und oft waren die, die Serge wirklich liebten, Kinder-das hat ihn sehr bewegt.“ Vor etwas mehr als zehn Jahren ist Serge Gainsbourg gestorben, seine Musik aber lebt. Irgendwie schade, dass der Mann die schnuckelige kleine Alizee, Frankreichs Lolita-Pop-Version Ausgabe 2001, nicht mehr kennen gelernt hat. Keine Frage: Das Duett des potenziell 73-Jährigen mit dem Teenager wäre großartig geworden.

www.sergegainsbourg.com.fr