Sinead O’Connor :: I Do Not Want What I Have Not Got (Chrysalis)
Hat Sinead O’Connor ihr Pulver bereits mit dem ersten Album THE LION AND THE COBRA verschossen? Oder warum nimmt sie ausgerechnet „Nothing Compares To You“ von Prince auf? Solche Fragen drängten sich vielleicht Skeptikern auf, bevor sie die neue LP hörten. Der grandiose Erfolg der Prince-Ausleihe räumte mit den Fehlinterpretationen und Trugschlüssen allerdings schnell auf. Alle anderen Kompositionen auf dem neuen Album stammen sowieso aus Sineads Feder, und einige Titel hat sie sogar im Alleingang aufgenommen.
Da sie das Album auch noch selbst produzierte, lief sie aber Gefahr, ähnlich wie Terence Trent D’Arby einen allzu krausen Geniestreich zu fabrizieren. Doch in diese Falle tappt die junge Mutter schon gar nicht. Dafür bietet sie in den zehn Titeln der LP pure Emotionen der ergreifendsten Art. Das geht tief unter die Haut.
Unter den zehn neuen Stücken finden sich eigentlich nur drei „normale“ Rock-Songs. Ansonsten begnügt sich Sinead O’Connor mitunter nur mit einer schlichten Akustikgitarre, um wie Tracy Chapman ihre persönlichen Erlebnisse in intensive Stimmungsbilder umzusetzen. Extreme Gegensätze im Programm schaffen zusätzliche Spannung: In „Feel So Different“ singt sie beispielsweise mit dramatischer Streicheruntermalung, im nahtlos anschließenden Song „I Am Stretched On Your Grave“ poltern die Drums und wummert der Keyboardbaß, bevor die Fiddle ein temperamentvolles irisches Thema intoniert.
Sineads Debütalbum stieß wegen seiner aggressiven Anti-Haltung oft auf Unverständnis. Jetzt wirkt die Sängerin ausgeglichener und ruhiger, aber vielleicht gerade deshalb auch stärker. Den Pauschalhaß gegen die ganze Menschheit hat sie jedenfalls in kontrollierte Wut gegen üble Politiker wie Magaret Thatcher umgemünzt. Doch selbst ihre brisante Anklage gegen die britische Premierministerin in „Black Boys On Mopeds“ trägt sie als stillen, intensiven Protest vor.
Liebe und Zärtlichkeit herrschen auf diesem wunderschönen Album, an dem man sich lange nicht wird satthören können. Und das ist für jeden nachvollziehbar, der Ohren hat.
NEUE SANFTMUT
Zum erstenmal hörte man ihre Stimme vor vier Jahren im Song »Heroine“ auf dem Soundtrack-Album CAPTIVE – Komponist: The Edge von U2. Das hinderte Sinead O’Connor freilich nicht daran, schon bald bei jeder sich bietenden Gelegenheit über U2 herzuziehen. Mit kahlgeschorenem Kopf, knochig und schroff, schockierte die 20jährige Irin ihre Landsleute, als sie für die Ziele der Irisch-Republikanischen Armee eintrat. Mittlerweile hat sie Ihre Meinung geändert: „Wenn ich heute im Fernsehen die Bilder von den Bombenattentaten der ISA sehe, erfüllt es mich mit Entsetzen, was ich damals gesagt habe. Im Nachhinein gefällt mir ganz und gar nicht, was ich da aus mir machte.“ Die Ursachen dafür reichen weit zurück. Die innerlich unsichere Sängerin, die über Nacht zum Star wurde, wuchs in einer Familie auf, die sich kaum als intakt bezeichnen läßt.
Schon in der katholischen Schule galt Sinead als Außenseiterin. Mit 14 wurde sie wegen regelmäßiger Ladendiebstähle ins Heim geschickt; mit 18 schrieb sie ihre ersten Songs. Nigel Groinge, Manager des Ensign-Labels, hörte diese Lieder, war begeistert und nahm Sinead unter Vertrag. Das erste Album entstand innerhalb von sechs oder sieben Wochen kurz vor der Geburt ihres Sohnes Sake. Von Jakes Vater, dem Schlagzeuger John Reynolds, trennte sich die junge Mutter, weil sie damals ihren Manager Fachtna O’Ceallaigh bevorzugte. O’Ceallaigh unterstützte ihr aggressives Image nach Kräften.
Jetzt ist Sinead O’Connor seit einem guten Jahr verheiratet – mit John Reynolds. Sie hat außerdem einen neuen Manager – Steve Fargnoli, der früher für Printe arbeitete. Und sie betont, daß sie endlich ihre innere Ruhe gefunden hat und glücklich ist. Was man auf der neuen Platte vielleicht hört.
NEUE GEBETE
Sinead O’Connor über ihre neue Platte:
„Ich kann nicht sagen, wie es kam, daß sie nun gerade so und nicht anders geworden ist. Ich hatte vorab keinen fest umrissenen Plan – die Songs kamen einfach so. Ich habe mich auch nie vorher dazu entschieden, zur Abwechslung mal eine ruhigere Platte zu machen. Aber ich habe mich jetzt einfach besser unter Kontrolle und weiß, wer ich bin und was ich will. Vielleicht ist die Platte deshalb ruhiger geworden.
Sicher ist sie auch ganz anders als meine erste Platte, aber sie rüttelt hoffentlich auf ihre eigene Art genauso auf. Als ich das erste Album aufnahm, war ich grade 21 Jahre alt und hatte eigentlich keinen blassen Schimmer. Damals war ich sehr verwirrt, der Erfolg und die guten Reaktionen der Medien machten das nicht besser.
Warum ich ausgerechnet den Prince-Song als Single aufgenommen habe? Weil ich dieses Lied großartig und sehr eigenwillig finde. Natürlich mag ich Prince sowieso aber das hat nichts mit meiner Single zu tun. Denn dabei ging es nur um den Song. Alle Stücke auf der Platte drehen sich um mich, und sie haben auch eine bestimmte chronologische Reihenfolge. Am Anfang sind sie noch etwas zerrissener, zum Schluß hin wird die Musik angenehmer und entspannter. Ich schreibe in erster Linie Lieder, um Inhalte und Gefühle zu vermitteln. Im Rückblick finde ich THE LION AND THE COBRA ein bißchen affektiert und dramatisch – das neue Album strahlt hingegen Schönheit und Frieden aus. Ich wollte damit ein Gefühl von Andacht schaffen. Auch wenn ich mich jetzt gerade wie ein versponnener Hippie anhöre, muß ich das ehrlich sagen: Es ist ein sehr spirituelles Album; die Songs sind wie Gebete. Sie vermitteln ein religiöses Gefühl – und hoffentlich spirituelles Glück.
Ich glaube kaum, daß das meinen alten Fans besonders gefallen wird. Aber ich muß ehrlich sein: Ich bin jetzt ein anderer Mensch.“
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