Subversive Zeiten :: von George Berger Bosworth 330 Seiten, 24,95 €

Alle Revolutionen, stellte einst der Obersituationist Cuy Debord fest, gehen in die Geschichte ein, aber die Geschichte fließt nicht über. Dass es 2008 ohne Weiteres möglich ist, Crass-Platten auf CD übereinen beliebigen Internetmassenhändlerzu beziehen (wenn auch nur indirekt), ist ein Beispiel für diese Merkwürdigkeit, das man so und so deuten kann: als Beweis für die endgültige Niederlage der britischen Anarcho-Landkommunen-Band um Steve Ignorant, Eve Libertine und Penny Rimbaud, die 1977 antrat, um den Spruch, mit dem Posträuber Ronnie Biggs seinen Gastauftritt bei den Sex Pistols einleitete („This time for real.“) endlich politisch ernstzunehmen und die Welt wirklich zu verändern. Oder ais Beleg für ihren Erfolg. Schließlich ging es (am Rande) auch darum: Monopolstellung und Macht der bewusstseinsindustriellen Konzerne zu brechen. Heute mögen Händler wie Amazon mächtiger sein als je zuvor-aber jeder kann (für einen allerdings immensen Anteil am Erlös) ihre Vertriebswege nutzen, um zum Beispiel subversive Botschaftsträger zu verbreiten, die ansonsten längst nur noch hie und da auf Auktionen und Flohmärkten gesichtet würden. Dass sich trotz unvergänglichen Slogans wie „Fight war- not wars“ und weit über 100 einst hochwichtigen Platten (u.a. von Björks erster Band) auf ihrem eigenen Label kaum mehrjemand an Crass erinnert, hat viele Gründe. Ihre Musik war wohl schlicht zu unzugänglich, zu schroff, zu punkdilettantisch, um (wie etwa die Gesinnungskollegen Gang of Four) neue Generationen mit offenen Ohren zu finden, ihre Attitüde wiederum zu streng, zu plakativ, zu wenig spalsorientiertaber fragt mal eine spätere Punk-Kommune namens Chumbawamba, woher sie ihre subversivsituationistisch-anarchistischen Ideen ursprünglich hatten, und fragt irgendeinen, der sich heute „Punk“ nennt, aus was er besteht. Musikalisch mögen Crass marginal sein -ihre Aktionen, von den frühesten Kunst-Happenings über die annähernd lebensgefährliche Subversion gegen den Falklandkrieg bis hin zu den unfassbaren diplomatischen Verwicklungen um die „Thatchergate Tapes“, waren und bleiben beispielhaft. George Berger gibt sich alle erdenkliche Mühe, über die Historie und ihre Wurzeln Interesse an dem popgeschichtlichen Unikat Crass, an ihrem Wirken, Wollen und Scheitern (oderauch nicht) zu wecken, und es gelingt ihm (auch wenn er die Akribie und Detailsucht bisweilen übertreibt) so gut, dass man beim Lesen Lust kriegt, die verstaubten alten LPs mal wieder rauszukramen und zu überprüfen, ob das nicht vielleicht doch echte Musik ist. Und siehe da: Die Zeit war auch in dieser Hinsicht nicht ungnadig.