The Books Of Albion :: Leben, Liebe, Tod, Musik – was soll’s!
Ob die Handschrift eines Menschen ein Spiegel seines Charakters ist (wie das die Metawissenschaft der Graphologen meint), mag umstritten sein – Rückschlüsse auf seinen Zustand lässt sie allemal zu: Man vergleiche Peter Dohertys Tagebucheinträge von Februar 1999, als er als neues Mitglied der „Paradigm Poets“ zwei Tage zu früh zur ersten Lesung erscheint („besser als eine Sekunde zu spät, um die Philosophie meiner Mutter zu zitieren „) und Mitglied einer Band wird („Steve singt, Justin spielt Bass, Carlos und ich heizen den Ofen“), mit den Satz- und Sinnfetzen, die er im Oktober und November 2005 aufs Papier schmiert. Den grundsätzlich nicht unpeinlichen Vorgang des Lesens in fremden Tagebüchern, privaten Kindheitserinnerungen, Gedichten und anderen Texten machen derartige Kontraste beklemmend, der stetige Wechsel zwischen wachem, hochliterarisch-eloquentem Bewusstsein und gelähmtem Taumel macht aber auch klar, dass das gerne bemühte Bild vom „Wrack Doherty“ allenfalls zeitweise und meist nur körperlich trifft. Was in ihm brennt und was er so wunderbar auszudrücken vermag wie seit Morrissey niemand sonst, geht nicht weg; es wird nur zeitweise überschattet. Ob er über Menschen spricht – etwa „Carlos“ Barat (1999, bitte laut lesen:) „a slight burden – but still a richly talented and quite noble old stick who goes well out of his way not to prise anything out of my weak grasp“ -, seine Gefühle zu umreißen, seiner Liebe und Sehnsucht Ausdruck zu geben versucht, ob er grübelt, philosophiert, den Alltag eines Menschen erzählt, der zwischen Wohngemeinschaft, Glitzergala, Klinik, Nobelparty, Gefängnis und allem dazwischen herumirrt: Stets beobachtet und beschreibt Doherty mit einer Wachheit des Blicks und einer (nur äußerst selten in Weinerlichkeit und Heroismus hineinschwappenden) Ehrlichkeit, Unmittelbarkeit. Dringlichkeit, dass es einem beim Lesen die Nackenhaare aufstellt. Selbst was – na klar – die Drogen angeht, scheint dieser Mann so genau zu wissen, was er tut und warum, dass man sich nicht mehr wundert, warum Therapeuten, Richter, Freunde nicht an ihn herankommen. Es ist nicht leicht, das alles zu lesen, es überhaupt erst zu entziffern, aber es lohnt sich so reichlich wie bei keinen autobiografischen Schriften eines Popstars je zuvor. Themen, Duktus, Gewichtigkeit und Stimmung der Texte (und Bilder, Zeichnungen, Fotos, Schnipsel) schwanken wie eine Nussschale in einem Seebeben, wie der Gemütszustand des Autors; das deutet schon die Widmungan: „Ich widme diese Schriften meiner wahren Liebe. Ach, was soll’s.“ Faszinierend und ungeheuer ergreifend aber ist das poetische Genie, das aus all dem leuchtet, in Passagen von überirdischer Leichtigkeit, schmerzhaft strahlender Schönheit und tiefster Qual. Selten ist man der Seele, dem Geist eines Dichters so nahe gekommen wie hier, und man möchte mehr, mehr, mehr davon. (Vorläufig aber ist im Januar 2007 Schluss.)
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