The Chemical Brothers – Dig Your Own Hole :: Platte des Monats
Von Zeit zu Zeit und besonders, wenn Platten wie diese das Licht der Welt erblicken, entkleidet sich die gesamte Musik-Theorie zu einer ebenso peinlichen wie nicht zu leugnenden Grundthese. Die hat ihren Ursprung in dem Wort „Rock’n’Roll“, das bekanntlich für Geschlechtsverkehr steht und besagt, daß es eigentlich immer nur um das eine geht: wer den größten hat. Dieser „Größte“ kann dabei unterschiedliche Formen annehmen – der größte Verstärker, die größte Lichtshow, das monströseste Riff. Und seitdem Rhythmus der Melodie zumindest teilweise die musikalische Definitionsmacht streitig macht, geht es hauptsächlich um den dicksten Bums, den fettesten Beat, den tiefsten Bass. Daß die Chemical Brothers in diesem Spiel mitreden wollen, stellen sie schon mit dem Titel des Albums klar. Denn DIG YOUR OWN HOLE ist nicht subtile Metapher für den abstrakten Tanzflur unserer Tage, im Gegenteil. Diese Phrase zwischen „Kümmer‘ dich um deinen eigenen Scheiß“ und „Besorgs dir selbst“ ist pure männliche Kraft-Rhetorik, es ist einer jener wenigen Sätze, die Clint Eastwood in seinen Filmen sagt. Es ist die Sprache des Rock, die sich zudem explizit in Songtiteln wie ‚Block Rockin‘ Beats‘ oder ‚Don’t Stop The Rock‘ wiederfindet. Doch halt, hat das Wort „Rock“ nicht spätestens seit den Rockers Hi-Fi auch eine andere Bedeutung? Steht „das Haus rocken“ nicht mittlerweile eher für erfolgreiche Versuche, das Publikum mittels HipHop, House und Techno zu unterhalten? Mitten in dieser Fragestellung stehen Tom Rowlands und Ed Simons, zwei Mitzwanziger aus London, die sich aufmachen als Chemical Brothers, die Welt zu rocken. Und alle Zeichen sprechen dafür. Denn der Sound, den das britische Dub-House-Duo Leftfield mit ihrem epochalen Debüt LEFTISM in der erweiterten Clublandschaft installierte und dessen zwei Maxime Bass und treibender Rhythmus heißen, ist nach drei Jahren Reife bereit für die Hallen und Charts. Die Chemical Brothers haben das ihre dafür getan. Mit ihrem Debüt EXIT PLANET DUST erschufen sie das gitarrig-psychedelische Pendant zu Leftfield und im Vorfeld der neuen Platte fanden sie sich mit dem technoiden Rock-Stampfer ‚Setting Sun‘ an der Spitze der britischen Charts wieder. Wobei die mit etwas Hilfe von Noel Gallagher vergoldetet Single das schwächste Stück auf DIG YOUR OWN HOLE ist. Denn die Chemical Brothers brauchen weder Gesang noch vordergründige Gitarren, sie haben mittels Sound diese Elemente längst transzendiert und gekonnt eingesetzte schrille Samples und verzerrte Loops machen nicht nur unbelasteteren, sondern auch härteren Rock. Dabei haben sie genug Funk, um den Gourmet nicht zu verschrecken, ausreichend Reminiszenzen an House für die notorischen Club-Köpfe, Struktur- und Klang-Partikel, die an große Momente der Rock-Geschichte anknüpfen. In den Status quo britischer Club-Kultur, die jazzy-tricky Melange aus abstraktem HipHop und elektrischem Soul platzen die Chemical Brothers wie zwei langhaarige Typen mit AC/DC-T-Shirts. Sie sind die Dancefloor-Verwandten der Melvins, mit denen sie den unbedingten Willen zur Wucht wie auch ihren bösartig schwarzen Humor teilen. Bevorzugte Samples sind denn auch Motorengeräusche, Explosionen und Trillerpfeifen. Die Jugend wird es ihnen danken. Überhaupt gibt es für Tom und Ed im Kampf um den Wanderpokal des erfolgreichsten Tritts in den Arsch der Jugend nur noch eine Konkurrenz: The Prodigy. Da deren neue Veröffentlichung ebenfalls vor der Tür steht, hat England (und der Rest der Welt) anderthalb Jahre nach Oasis vs. Blur einen neuen Anlaß für Wetten und Spekulationen.
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