The Mars Volta – Frances The Mute :: Kunst-Werk

Am Anfang sind sie beide ratlos. Der ewig Trauernde, der sich die großen, doch nun mal toten At The Drive-In wiederauferstanden wünscht, weil ihn das zunehmend irrsinnige Schaffen von The Mars Volta nicht mehr nur irritiert, sondern nun vollends vergrätzt; und auch der bisher Glückliche, der die Bandfixpunkte Cedric Bixier und Omar Rodriguez auf ihrem Debüt DELOUSED IN THE COMATORIUM an den äußersten Grenzen wähnte, ihnen ja eben das hoch anrechnete, doch jetzt auf verstörende Art begreifen muss, dass alles Erdenkliche noch nicht genug erdacht ist bei The Mars Volta. Der Unterschied zwischen den beiden Hörern ist: Während der eine FRANCES THE MUTE in die hinterste Ecke seines Plattenschranks stellt, hoffend, schnell und für immer vergessen zu können, was er während der letzten Stunde gehört hat, behält der andere die Platte ahnungsvoll in der Nähe, um ihr in einem günstigen Moment die zweite, dritte, wenn nötig, siebte Chance zu geben und doch noch festzustellen, dass alle Mühe das Ergebnis schließlich wert war. Denn was sich mit jedem Durchlauf einen Spalt breit weiter auftut in diesen fünf zumeist tiefkryptisch betitelten Haupt-, Teil- und Unterstücken, die in der Struktur den Aufzügen eines Bühnenstücks mehr ähneln als einem konventionellen Song, kann man nicht anders als überwältigend nennen. In jeder Hinsicht, frances the mute zu hören, kostet Kraft -weniger in begreifbaren Momenten wie dem fast sanftmütigen „The Widow“ (die erste und vermutlich einzige Single), dem sonderbar santanaesken „L’Via L’Viaquez“ und der wundervollen, so harmonisch elaborierten wie abrupt verschwimmenden Akustikrahmennummer „Sarcophagi“; mehr in nervzehrenden Abschnitten wie dem brutalen „Umbilica! Syllables“, dem ausufernd improvisatorischen „Cassandra Gemini“ und der tongewordenen Nachtmahr „Miranda That Ghost Just Isn’t Holy Any More“, inmitten derer die Mariachi-Trompeten ins rauschende Nichts blasen, als wollten sie für einen kurzen klaren Moment erkennen lassen, wie nah The Mars Volta bei ihrer Grunderneuerung von Prog-Rock dem künstlerischen Ansatz des Freejazz kommen: Ihre Musik ist grenzen -, aber nicht maßlos. Mutig statt übermütig. Einnehmend, wenn nicht erdrückend radikal, doch immer fern von künstlerischer Anarchie. Sie hinterlässt dich ratlos, und es liegt an dir, daran etwas zu ändern. Musst nur wollen.

VÖ.21.2.

www.themarsvolta.com