The Singles

Das ist schon schöner Sommer-Pop. „Heartbeat“ (1679/Warner) von Annie, dem neuen Wunderkind aus Bergen, Norwegen. Aber irgendwie sollte man sich von dem liebreizenden Geschöpf, das diesen Sommerpop produziert, nicht die Ohren verdrehen lassen und ihr schon einen gewissen Belanglosigkeitsfaktor attestieren. Der „Royksopp’s Mindre Tilgjengelige Remix“ – Gewinner des jährlichen Wettbewerbs „Remixes beste Namen“ – macht dann in schmissige Elektrobeats und romantische Soundflächen. Der „Phones Maximo [Maximo Park] Remix“ hinterläßt den Singlekritikenschreiber genauso ratlos wie den Presseinfoschreiber. Ist das nun ein Remix von Phones (aka Paul Epworth, dem Rick Rubin des Neo-Wave-Pop), oder einer von Maximo Park? Auf jeden (das „Fall“ lassen coole Säue wie wir weg) klingt er mehr nach Phones-Disco-Stomp als nach Maximo Park.

Wir verkünden feierlich die Ankunft des besten auf Single veröffentlichten Songs des Jahres. Er stammt von Baby Shambles, und damit er garantiert in die heavy rotation von BBC Radio kommt, hat ihm Pete Doherty den hübschen Titel „Fuck Forever“ (Rough Trade/Sanctuary/Rough Sanctuary) gegeben. Das ist ein dermaßen schöner Libertin-esker Stolper- und Rumpel-Rocker, der schon nach den ersten 30 Sekunden ein Freund fürs Leben wird. Man könnte dann auch noch seitenweise über den verdammt guten selbstironischen Text philosophieren, den man dem alten Junkie Doherty gar nicht mehr zugetraut hätte. Leider macht dieser Song auch deutlich, wer der musikalische Kopf bei den Libertines war. Der süüüße Carl war’s nicht.

Ein richtig schönes Lied hat Lou Barlow mit „Holding Back The Year‘ (Domino/Rough Trade) draußen. So ein bißchen ein semi-traurigerTalking-Folk mit sentimentalen Ich-werde-älter-und-blicke-auf-mein-Lebenzurück-Einschlag. Dann gibt’s noch drei mehrheitlich akustische Non-Album-Tracks, die die These fundamentieren, daß „der“ Musiker den Blues kriegt, wenn er auf die 40 zugeht.

Man kann sich ja heutzutage in Singles von Fettes Brot schon mal leicht täuschen. „Emanuela“ zum Beispielwarja dann in der Retrospektive ein toller, wenn auch bescheuerter Hit. „An Tagen wie diesen “ (Fettes Brot Schallplatten GmbH/lndigo), zusammen mit Finkenauer aufgenommen, ist auch ein Hit, ein fett produzierter dazu, der im Refrain schon ein bißchen an Falcos „Jeannie“ erinnert, so vom hymnischen Faktor her. Dann gibt’s noch zwei Remixe und mit „Was in der Zeitung steht“ einen Neo-Punk-Wave-Pop-Song, den du sicher bald bei „Schweine am Samstag hören wirst.

Wir wissen ja jetzt, daß es Bands wie Franz Ferdinand auch und vor allem deshalb gibt, weil Bands wie Franz Ferdinand Bands wie Pavement nicht mehr ertragen konnten. „Baby C’Mon“ (Domino/Rough Trade) von Stephen Malkmus ist so ein Shoegazer-Indie-Rocker, der hoffentlich viele junge Menschen in Großbritannien dazu ermutigen wird, eine Band zu gründen und Musik zu machen, die ganz anders klingt als das hier. Das Beste an der „B-Seite ist der Titel: „Wow Ass Jeans“.

Das Schöne an der Musik der Kalifornier Rogue Wave ist 1), daß sie aus richtigen Songs besteht, und 2). daß man sie nicht sofort in eine Schublade stecken kann. Die EP „10:1“ (Sub Pop/Cargo) ist auch wieder alles zwischen Indie-Gerocke. Built To Spill, psychedelischem, britisch geflavourtem Folk und dezenterem Noise-Terror. Schade nur, daß die Ohren der „opinion leaders“ zur Zeit auf andere Musiken ausgerichtet sind.

Für den, der sie mag, sind sie das Größte: The 69 Eyes aus Finnland. Sie haben eine neue Single draußen. Sie heißt „Feel Berlin ‚ (Virgin/EMI/Capitol). Und die ist für den, der Musik mag. aufgesetzter Goth-Rock mit fetten Nu-Metal-Gitarren, Andrew-Eldritch-Gesang und pathetischen Melodien. Tu, was du tun mußt, du mußt Berlin fühlen.

Ja, so ein Luder, diese Joss Stone. „Don’t Cha Wanna Ride?“ (Virgin/ EMI/Capitol) ist schon die vierte Single aus dem – wie sagt man? – „Erfolgsalbum“ Mind, Body & Soul. Und je öfter man diese auf Authentizität hingetrimmte Musik hört, desto mehr fallen diese Anastacia-ismen in der Stimme der mittlerweile auch schon volljährigen Engländerin auf. Das White-Stripes-Cover „Felll’n Love With A Boy“ ist hierauch drauf. In einer Live-Version. Und: Kunden, die Titel von Joss Stone gekauft hoben, haben auch Titel von diesen Künstlern gekauft: Sheryl Crow, Destiny’s Child. Natasha Bedingfield, Ashlee Simpson, Usher „Echt jetzt.

Hatten wir neulich nicht schon darüber philosophiert, daß über kurz oder lang der Rock-Rock der Tod des britischen Neo-Wave-Pop sein wird? Aber bevor es so weit kommt, empfehlen wir schnell noch die Single „Boa Vs. Python “ (Domino/Rough Trade) von Test leides zum Kauf, bevor sie auf Ebay 40 Euro kostet. „Boa Vs. Python“ ist manischer, metal-infizierter Rock, der auch vor Beats aus der Maschine keine Angst hat. So stelle ich mir vor, haben Carter USM damals geklungen, wenn ich mich doch nur daran erinnern könnte. Hoffen wir nur, daß es sich bei Test leides nicht um magersüchtige Vollspacken mit Mötley-Crüe-Frisuren, circa 1984, und schwarz-weiß-gestreiften Spandex-Hosen handelt. Tschööö. Ich muß weg. Ein bißchen München fühlen.