The Smithereens – Smithereens 11
Das solide Gitarrenquarteti aus New Jersey wechselte fürs neue Album den Produzenten, und diese Wachablösung dröhnt! Gleich in den ersten Akkorden der rundum gelungenen LP unüberhörbar in den Ohren: Ed Stasium, der schon für die Romones und zuletzt für Living Colour am Kontrollpult saß, übernahm das Ruder. Auch sonst haben sich die Vier seit ihrem Debulolbum ESPECIALLY FOR YOU (1986) gewaltig emanzipiert. Den hübschen, melodiösen Popsongs mit troditionsbewuöten Country- und Folk-Anklöngen und dem schon damals unbestrittenen kreativen Potential fehlte wohl noch genau der Rock V Roll-Kick, den die Smithereens jetzt so unbeschwert und natürlich rüberbringen.
Sänger und Gitarrist Pat DiNizio zog als Definition des neuen Smithereens-Sounds augenzwinkernd einen gewagten Vergleich: „AC/DC meel The Bealles“. Und damit liegt er gar nicht so schief. Denn selbst wenn die alten College-Freunde nicht gerade ungewohnt hart in die Saiten greifen, wie gleich in den ersten drei Akkorden des hämmernden Anheizers „A Girl Like You“ oder im darauf folgenden „Blues Before And After“, bei dem man die Handschrift von Produzent Ed Slasium besonders deutlich hört, sind sie immer noch gut für harmonische Chorsätze und melodische Refrains, die die vergangenen Tage der Byrds und Beach Boys hochleben lassen.
Die Smilhereens bedienen sich nach wie vor, oder vielleicht sogar mehr denn je, aus dem gängigen Fundus der vergangenen 20 Jahre Musikgeschichte. Doch wer wie sie unverkrampft durch das musikalische Schlaraffenland seiner Väter marschiert und dabei nicht auf sentimentale Plagiate vertraut, sondern überzeugende Eigenarbeit leistet, die hier und da auch amüsiert ironische Distanz zu den Göttern der Vorzeit hält, soll klauen dürfen, wie es ihm gefällt. Vor allen Dingen, wenn am Mikrophon ein Mann wie Pat DiNizio steht, der schmachtende Balladen wie „Cut Flowers“ so sanft und samtig singt, als habe er Jimmy Dean in einem früheren Leben mal zu lange in die Augen geschaut. Sicher schwingt auf SMITHEREENS 11 eine ganze Menge sentimentaler Vergangenheitsbewältigung mit, und ein Stück widmen die Jungs gar Buddy Hollys Witwe Maria Elena Santiago. Doch wo die Harmonien zu allzu verträumten Höhenflügen ansetzen, ist immer bald ein derbes Gilorrenriff zur Stelle, um die Talsachen wieder ins rechte Licht zu rücken.
JÄGER & SAMMLER
Januar 1987: In Hamburg tobt ein Schneesturm, dos Thermometer hat sich seit Tagen unter minus 15 Grad etabliert. Kein Wunder, daß sich im „Logo“ nur ein paar abgehärtete Survival-Trainees und eine Handvoll Journalisten versammelt haben, um dem ersten und einzigen Deutschlandauftritt der Smithereens zu lauschen. Doch die Band ließ sich vom verwaisten „Logo“ nicht irritieren: Die vier Rock-Enthusiasten spielten, als hinge ihr nächster Plattenvertrag vom Begeisterungsgrad des Publikums ab, und schon nach wenigen Songs hatten sie ein rekordverdächtiges Temperaturgefälle aufgebaut: draußen auf der Straße vor dem Logo klirrende Kälte – drinnen Treibhaus, Dampfbad, Heatwave. Typisch Smithereens.
Später erzählte Sänger Pat diNizio, wo die Smithereens das Training für ihre kämpferische Kraft und ihre Ausdauer genossen: „Wir sind zwölf Monate mit Otis Blockwell getingelt.“ Rock ’n‘ Roll-Veteran Blackwell schrieb in den 50er Jahren einige Hits für Elvis Presley, darunter „All Shook Up“ und „Don’t Be Cruel“, und hielt sich seitdem mit Live-Shows zäh über Wasser.
Aber auch in jeder Theorieprüfung würden die vier Streetfighter aus New Jersey mit glänzenden Ergebnissen abschneiden. Denn sie sind leidenschaftliche Pop-Historiker mit einer Schwäche für die 60er Jahre. „Ich sammle seit Jahren Schallplatten“, erzählt Drummer Dennis Diken, der ein gewaltiges Plattenarchiv sein eigen nennt: „Mindestens 40.000 Alben dürften es sein“, schwärmt er.
Die härteste Praxis und die schönste Theorie helfen freilich nichts, wenn ein Händchen für klare, schöne Songs fehlt. Pat DiNizio ist zum Glück in dieser Hinsicht ein kleines Genie. Und schließlich kommt es für die Smithereens noch auf den richtigen Sound an: „Der Sound der Rickenbacker ist einfach unübertroffen“, schwärmt Gitarrist Jim Babjak. „Hör dir doch bloß mal an, was die Searchers schon vor 25 Jahren damit angestellt haben.“
KLASSISCHES FORMAT
Seit 1978 schrieben Drummer Dennis Diken und Sänger Pat DiNizio schon zusammen Songs. 1980 wagten sie den Schritt in die Praxis und gründeten, so DiNizio, eine „Rock ’n‘ Roll-Band im klassischen Format“. In New York, wo DiNizio zeitwillig im gleichen Büro wie Suzanne Vega jobbte, trafen sie den in Ungarn geborenen Bassisten Mike Mesaros und den Gitarristen Jim Babjak. In dieser Besetzung nahmen sie ihre erste Platte auf, eine EP mit vier Songs und dem Titel GIRLS ABOUT TOWN.
Die zweite EP mit dem Titel BE-AUTY AND SADNESS, die 1983 auf dem Label Linie Ricky Records erschien, gilt längst als Klassiker des amerikanischen Gitarrenrock. In Skandinavien entwickelte sie sich sogar zum respektablen Hit, worauf die Smithereens zu ihrer ersten Auslandstournee nach Nordeuropa aufbrachen. Als sie nach New York zurückkehrten, hatte das Label pleite gemacht, und sie standen wieder am Anfang.
Unverdrossen und ungebrochen begannen sie daraufhin, live zu spielen. So sammelten sie genug Erfahrung, um Ende 1986 mit ihrer ersten LP für das Enigma-Label (ESPE-CIALLY FOR YOU) einen Volltreffer zu landen, der internationale Beachtung fand.
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