The Thermals – Now We Can See
Puristische Thermalsianer – insbesondere die, die das Höllenlärmdebüt MORE PAKTS PER MILLION immer noch für das Maß aller Dinge und schon die tobende, brüllende Jahrhundert wuchtbombe LICKIN A für „irgendwie poppig“ halten werden sich mit Grausen und/ oder dem typisch indieblasierten „Hab ich’s doch gewusst, dass das nicht gut gehen kann!“-Gesicht abwenden. Oh ja: Aufs erste Hören könnte man an Stadionrock denken, an Autowerbung und andere konsumamerikanische Unsitten das sind einfach zu runde Songs, zu perfekte Harmoniefolgen, zu große Melodiebögen, zu schöne Auflösungen, zu viele Anklänge an den klassischen Popsongcorpus, zu viel Leichtigkeit. Das macht aber alles gar nichts, im Gegenteil: Je leichter man sich auf diese Musik einlassen kann, desto leichter packt einen die Urgewalt, die in den scheinbar harmlosen Songs steckt. Zur Erinnerung: Es geht und ging bei den Thermais (die im Studio auch diesmal, wie beim Vorgänger, nur zu zweit waren – Bassistin Kathy Foster trommelt auch, vielleicht klingt deshalb alles so kompakt und konfliktfrei) immer um die grundlegenden Dinge im Leben, um das Leben selbst, um das Sterben, das Lieben und Hassen, um Angst, Kampf, Verzweiflung, Erlösung, auch um die Erkenntnis, dass es lächerlicher Mumpitz ist, die Welt ändern oder „verbessern“ zu wollen – man muss sie denen wegnehmen, den Bösen, Dummen und Gemeinen. Und das geht nur mit einer Musik, die im Wortsinn radikal ist, an die Wurzel von allem geht, siehe Texte und Songtitel: „When I Died“, „When I Was Afraid“, „We Were Sick“, „When We Were Alive“ … Letzteres ist laut Hutch Harris das Leitmotiv eines Albums, das einem spätestens bei Song drei, „I Let It Go“, das Gefühl gibt, auf Berggipfeln zu stehen, hinabzublicken auf das Gewese der Menschen und alles verstanden zu haben, was es je zu verstehen gab. Nein, mit Kleinigkeiten hält sich Harris nicht auf; seine Lieder sind Predigten, Litaneien, wortgewaltig und bildmä’chtig, kompromisslos, repetitiv und von biblischer Wucht, so befreiend, als würde jede Körpcrzelle durchgespült und restlos gereinigt vom Zivilisationssmegma. Andererseits muss solche Musik schön sein, so erschlagend schön, dass sie dich trägt wie schwerelos, dass danach nur Stille bleibt – und der Wunsch, es möge immer so weitergehen. Ja, das ist Stadionrock – allerdings ohne Dünnbierausschank, Reklamegewitter, Posen und Sponsorenmüll; Stadionrock ohne Stadion. Und wie gut es ist, zeigt die Wunde: Nach dem (musikalisch seltsam harmlosen) „You Dissolve“, dessen Text alles sagt, ist das Album, das bis dahin (im Gegensatz zum etwas konfusen und unentschlossenen Vorgänger THE BODY, THE BLOOD, THE MACHINE) von Höhepunkt zu Höhepunkt stringent auf den absoluten Triumph hinzulaufen schien, plötzlich aus, ohne schlüssiges Ende – das hinterlässt eine Ahnung jener Vergeblichkeit, die das auszeichnet, worum es geht: das Leben selbst.
www.thelhermals.com
Story S. 20
CD im ME S. 40
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