Van Morrison – Common One

Mit das Beste, das Van Morrison je produziert hat, um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen! Und parallel dazu eine Warnung: Dieses Album droht selbst Van Morrison-Fans, die ihn nur sporadisch schätzen, zu vergraulen. Wenn du dir diese LP kaufst, mußt du eine Offenheit zeigen, die abseits fast aller Hörgewohnheiten und musikalischer Erfahrungswerte liegt. Es sei denn, du bist sehr informiert über Musikstile, die weit über das Rockspektrum hinausgehen: Du solltest Ahnung von Jazz besitzen, dich im Folk auskennen, bei Van Morrison sowieso und Kenntnisse über Vivaldi oder Debussy schaden auch nicht. Oder aber von der anderen Seite kommen (und die ist fast unmöglich): Unvoreingenommen hören, besser: erleben, wie sich jemand musikalisch selbst darstellt.

Ein Sänger, der nicht singt, allenfalls mal nebenbei; ein Sänger, der improvisiert, deklamiert, der mit seinem Kehlkopf mehr veranstaltet als manch anderer mit einem Orchester. Jemand, der die Songform längst gesprengt hat: Die Platte dauert 55 Minuten; die Stücke „When Heart Is Open“ und „Summertime In England“ reichen jeweils für 15 Minuten. Nicht einmal durch Rhythmus zusammengehalten, was vielleicht noch das mindeste für .freiere Songformen‘ wäre. Wenn Rhythmus, dann wechselnd, und daraus bereits eine Spannung beziehend, die man allenfalls noch von einigen Joan Armatrading-Songs kennt. Dazu erlebst du die Seltenheit, daß Musiker perfekt und warm zugleich spielen: Peter van Hooke (dr), John Allair (keys), Herbie Armstrong (g), Mick Cox (g), Mark Isham (tp, flh), Pee WeeEllis (sax, fl) und der prächtige David Hayes (bg) geben dir das Gefühl, nicht die LP von Mercury, Best.-Nr. 6302021 zu besitzen, sondern dein persönliches Exemplar. Streng genommen ist dies also ein Album, daß dich trennt von deinen Mitmenschen, dich kommunikationslos macht. Du kannst zwar mit anderen über COMMON ONE sprechen, aber erleben kannst du die Platte nur allein – und dann bist du dem Zwiegespräch mit Van Mor-‚rison und seiner Musik ausgesetzt Und dies verlangt höchste Anspannung.

Wenn du dich dann an scheinbar Greifbarem festhalten willst, wird es dir entzogen, im schlimmsten Fall wirst du verunsichert. Denn was hier an Geigen (!) und Chor ertönt, ist für Rockmusik abenteuerlich: Riff-artigen Geigeneinschüben folgen liebliche Chorsätze, die dann wieder durch überraschende Geigensätze verdreht und gekontert werden. Geigen, die im übertragenen Sinne erschrecken können.

obwohl – und das ist die Verunsicherung – die Geigen immer harmonisch bleiben – mit bitterer Süße.

Wie kaum eine andere Platte zeigt COMMON ONE die Grenzen auf, Musik beschreiben zu wollen. Anstatt dieser Rezension sollte man ohne Worte das Album vorlegen…