Van Morrison – The Healing Game

Selbst der ach so gestrenge Rezensent entdeckt bisweilen den Fan in sich und genießt – halb erwartungsfroh, halb skeptisch – das Gefühl, die neue Platte eines Musikers, der einen schon ein halbes Leben lang begleitet, aus der Hülle zu nesteln und atemlos aufzulegen. Magische Momente oder fauler Zauber, lautet die bange Frage. Nun hat Van Morrison in 32 Jahren Karriere und auf 31 Alben vielfach Grandioses geleistet, nur vereinzelt Mittelmaß abgeliefert. Richtig enttäuscht hat er nie. „Wer da nicht zum Fan wird, sollte seine Ohren abgeben“, jubelte ein hochgeschätzter Kollege einst über WA-VELENGTH. Fast 20 Jahre ist das jetzt her. Und auch die ME/Sounds-Kritikerkaste zog vielfach die Höchstnote, kürte mit BEAUTIFUL VISION (1982), AVALON SUNSET (1989) und ENUGHTENMENT (1990) gleich drei Alben des Iren zu Platten des Monats. Mit Them hat Van the Man Mitte der Sechziger den Rhythm’n’Blues britischer Prägung definiert, als Solokünstler mit dem epochalen ASTRAL WEEKS (1968) und mit MOONDAN-CE (1969) Werke für die Ewigkeit vorgelegt, später Soul, Folk, Gospel, Blues, Jazz und Rock zur ‚Caledonia Soul Music‘ verschmolzen. Dorthin, ins imaginäre Caledonia, ist er – nach einem Abstecher in den Swing (HOW LANG HAS THIS BEEN GOING ON?) und einer Hommage an Mose Allison (TELL ME SOMETHING) – mit THE HEALING GAME zurückgekehrt, einer CD, die man ein Meisterwerk nennen müßte, wäre dieser Begriff durch inflationäre Verwendung nicht längst entwertet. „Got to move to protect my sanity“, singt er in einem wahren Gefühlsbeben titels ‚This Weight‘. Getreu dieses Mottos zieht er auf seinem neuen Album eine Quersumme seines bisherigen Schaffens: Da hat’s vor Intensität vibrierenden Soul (‚Rough Gods Go Riding‘, ‚Burning Ground‘), zum Heulen schönen Folk (‚Piper At The Gates Of Dawn‘), leichtfüßige Jazzstrukturen („Fire In The Belly‘), augenzwinkernde Reminiszenzen an den Schmelz der Rock’n’Roll-Ära (‚If You Love Me‘) oder gutgelauntes Gospelflair (‚It Once Was My Life‘). Erste unter Gleichen aber sind ‚Waiting Game‘, ‚Sometimes We Cry‘ und ‚The Healing Game‘, Musik an der Grenze zur Stille, Klang gewordene Meditationen. Van Morrison singt, als ginge es um sein Leben, beatmet sporadisch die Harmonika, während seine Band das Kunststück schafft, behutsam und zupackend zugleich zu Werke zu gehen. Die Bläsersätze jagen einem Schauer über den Rücken, verspiette Piano-Ornamente beschwören Bilder von kristallklaren Bächen herauf, schwebende Orgelpassagen suggerieren endlose Weite.