Whale – We Care

Eine Halbirre mit blitzender Zahnspange und zerzausten Haaren windet sich singend über die Mattscheibe, überprüft nebenbei fachkundig die genitalen Ausstattungen von spalierstehenden Unterhosenmodels. Zwei seltsam gewandete, vollirre Saiteninstrumentalisten hüpfen dauernd wie ein paar Gummibälle durch die Szene: Das Video zu Whales erster Single ‚Hobo Humpin‘ Slobo Babe‘, von MTV in die heavy rotation erhoben, und der unkonventionelle Sound der Band machten 1993 Appetit auf mehr Wal, doch wäßrigen Mundes wartete man anderthalb Jahre vergeblich.

Jetzt legen die schwedischen Neutöner mit WE CARE endlich das fällige Debütalbum vor. Und das ist – wie zu erwarten – ein musikalischer Gemischtwarenladen. Da folgt auf die zuckersüße, schwül-erotisch gesäuselte Schnulze ‚Kickin“ die Haßtirade ‚That’s Where It’s At die Sängerin Cia irgendwelchen imaginären Schnepfen um die Ohren knallt, mit dreckig verzerrten Gitarren über zähem HipHop-Rhythmus. „Gegensätze ziehen sich an“, ist sich Whale-Gitarrist Henrik Schyffert sicher, „Wir versuchen, gegensätzliches zu verbinden, das hält das ganze spannend. Es ist wie bei einer Herzschlag-Linie: Wenn sich alles in der Mitte einpendelt, ist Sense.“ Dieser Philosophie folgt man auf WE CARE konsequent. Mit fast niedlich kieksender Stimme disharmoniert Sängerin Cia Berg herrlich mit den wuchtigen Riffs von ‚Pay For Me‘ oder den kreischenden Feedback-Gitarren auf ‚Electricity‘. Doch schon im nächsten Augenblick ist sie der männermordende Vamp, der laszivfies unmoralische Angebote unterbreitet (TU Do Ya‘), bevor wieder das Riot Girl mit ihr durchgeht. Deutlich hört man Schyfferts Faible für englischen Gitarrenpop heraus. ‚Happy in You‘ wartet mit einem geradezu beatle-esken Refrain auf, und auf dem hitverdächtigen ‚I Miss Me‘ mit seinen singenden Kreissäge-Gitarren klingen die Skandinavier für vier Minuten britischer als Elastica und Oasis zusammen.

Das Gegengewicht bildet als Dritter im Bunde Gordon Cyrus. Hauptberuflich einer von Schwedens derzeit wichtigsten HipHop-Produzenten, zeichnet das „Musikgenie“ (Einschätzung seiner Bandkollegen) für die fetten Beats verantwortlich, die, kontrastierend mit Schyfferts Noise- und Neopunk-Ergüssen, den Sound von WE CARE bestimmen. So groovt zum Beispiel ‚Eurodog‘ gedämpft-atmosphärisch dahin, bis ein brutal brüllender Refrain jäh die Boxen erschüttert; auch die ebenfalls auf dem Album enthaltene grandiose erste Single ‚Hobo…‘ lebt von diesem Wechselspiel.

Whale-Manager Cameron McVey, Ex-Kassenwart von Massive Attack, ließ zudem seine Beziehungen zu Bristols TripHop-Szene spielen und gewann Meistermixer Tricky, der die Walgesänge auf Tracks wie ‚Tryzasnice‘ zusätzlich aufmischt. Wer vom zeitweiligen Schrägklang verstört wird, kann sich gegen Ende des Albums mit den Schweden versöhnen: Der fast schon kitschige Schieber Tm Cold‘, mit wunderbar warmen Keyboards, verträumter Hammondorgel, charmant verstimmtem Baß und einer schläfrigen Barsängerin Cia Berg, wird von einem weiblichen Backgroundchor begleitet, wie ihn sich Bing Crosby wohl immer gewünscht haben muß. Ganze achteinhalb Minuten schwelgt man in dieser Pracht und Herrlichkeit, doch Whale wären eben nicht Whale, würden sie nicht noch einen abschließenden Weckruf in bester Punk-Manier nachschieben: Eine Minute und dreizehn Sekunden genügen Frau Berg, um zu verkünden, daß sie ‚Born To Raise Hell‘ sei. Und auch das nimmt man ihr dann wieder voll und ganz ab.