White Noise – An Electric Storm

Ein ambitioniertes Projekt in experimenteller Ära. White Noise wurde von dem 19-jährigen amerikanischen Musik- und Physik-Studenten David Vorhaus initiiert und – zumindest für eine Produktion – mit Delia Derbyshire und Brian Hodgson, beide angestellt beim BBC Radiophonic Workshop, komplettiert. Beeindruckt winkte Island-Chef Chris Blackwell sofort mit einem Plattenvertrag und einem dickem Scheck. In monatelanger Tüftelarbeit entstand mit neu kreierter Elektronikgerätschaft in Vorhaus‘ Londoner Wohnung im Stadtteil Camden Town An Electric Storm – ein Kultalbum, um das sich seither die Mythen ranken. So sollen „einige Mitwirkende“ nach den Aufnahmen in der Psychiatrie gelandet sein. Nun, dasselbe wurde auch von den Crew-Mitgliedern des ’67er Debüts von Londons Designer-Psychedelikern Hapshash And The Coloured Coat behauptet. Nichts von alledem ist wahr. Das sind Großstadtmythen, über die sämtliche Beteiligte vier Jahrzehnte später schmunzeln können. Insbesondere beim Genuss der zweiten Seite des Vinyl-Originals mit den unheimlichen Tracks „The Visitation“, einer melancholischen Reise in die Kindheit, und „Black Mass – An Electric Storm In Hell“, einem satanisch-düsteren Industrial-Noise-Vorboten mit Paul Lyttons gephaster Drum-Ekstase. kam es auf Halluzinogenen zu akuten Beeinträchtigungen der Psyche. Die endeten nicht selten im Krankenhaus. Die wesentlich friedlichere A-Seite des Albums vertont lustvoll den in den Swinging Sixties sehr populären Geschlechtsverkehr im Gruppenverband. Wie pornographische Outtakes aus Brian Wilsons Pet Sounds und Smile klingen die beiden ersten Titel: „My Game Of Loving“ atmet geradezu die lasziven Vokalismen von Gastsängerin Annie Bird. Die schluchzende Bird kommt auch auf „Love Without Sound“ wieder zum Einsatz, das im Mittelteil mit Vorhaus‘ bei selbst organisierten Gruppensex-Partys aufgezeichneten orgasmischen Stöhngeräuschen aufgepeppt wurde. Nicht weniger prickelnd die restlichen drei Klangcollagen: „Here Come The Fleas“ klingt dissonant, während „Firebird“ die experimentelleren Arbeiten Peter Gabriels vorwegnimmt. In „Your Hidden Dreams“ schließlich kreuzt das Triumvirat Vorhaus, Derbyshire und Hodgson Kate Bushs „Wuthering Heights“-Poesie mit Curved Airs somnambuler Sonja Kristina und der eisgekühlten Hipness von Jefferson Airplanes Grace Slick. Kuriosität am Rande: Teile von An Electric Storm tauchten im Soundtrack der Hammer-Horror-Produktion „Dracula A.D. 1972“ auf, eine im turbulenten Pop-London der Gegenwart spielenden Neuauflage von Christopher Lees charmanter Interpretation des karpatischen Blutsaugers.

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