Zurück aus der Gruft :: The Sisters Of Mercy – First And Last And Always, Floodland, Vision Thing (Mercifut Release/Rhino/WSM)

Goth Rock: Grufties, Grabräuber und Gespenster von einem, der auszog, den Erfolg zu negieren.

Wie mache ich mich unsterblich? Die Welt des Rock’n’Roll bietet da gleich mehrere Alternativen: Ein früher, möglichst von konspirativen Theorien umflorter Tod garantiert einen Mythos, wie er sonst nur in der antiken griechischen Sagenwelt vorkommt. Brian Jones, Jim Morrison, Ian Curtis und Kurt Cobain sind da nur die Spitze des Eisbergs. Eine weitere Variante ist die Ausblendung aus der Realität, der vorzeitige Rückzug, wie es der mittlerweile verstorbene Pink-Floyd-Gründer Syd Barrett exerziert hat. Andrew Eldritchs Methode, in 26 lahren gerade mal drei Alben zu veröffentlichen und alljährlich das vierte in Aussicht zu stellen, überzeugt mit Konsequenz – selbst wenn das ein wenig an Guns ‚N Roses und „Chinese Democracy“ erinnert.

Auch wenn es der ehemalige Linguistik-Student des Oxforder St. John’s College nicht gerne hört, jede Schuld von sich weisen wird und beteuert, er wolle doch nur Spaß haben: Mit den frisch digitalisierten Neuauflagen seiner Alben-Klassiker definierte der kleine Engländer mit monotoner Grabesstimme in den 8oernein Subgenre des Independent Rock, das zu mehr als nur einer Fußnote in den Pop-Annalen taugt: Gothic Rock. Die Wurzeln der zum Morbiden neigenden Grufties liegen freilich tiefer als der Londoner Kult-Keller-Club Batcave, fesch geschnürte Fetischkostümierung, per Haarlack auftoupierte Haarzotteln, kreidebleich geschminkte Zombie-Visagen und aktuelle Bands wie Evanescence. Tiefer sogar, als Eldritchs Teenage-Faible für halluzinogene Drogen, den Glam-Boogie-Rock von T. Rex, das Rollenspiel David Bowies, die versponnene Lyrik von Leonard Cohen, den somnambulen „Dr. Caligari“, verspiegelte Sonnenbrillen sowie der unverhohlene Nihilismus von The Velvet Underground, The Stooges und Suicide vermuten lassen.

Als nach etlichen EPs 1985 mit FIRST AND LAST AND ALWAYS endlich das Debüt vorlag, tobte im Inneren des Quartetts, wie Eldritch sich in einem Interview auszudrücken pflegte, „a corporate war“. Was 1980 in der ideenreichen Post-Punk- Phase als sehr trockene, schwarzhumorige Satire begonnen hatte, steuerte ausgerechnet kurz vor dem Durchbruch – schließlich war die Band samt hauseigenem Label Merciful Release gerade zum Major Warner gewechselt – in einen zwischenmenschlichen Hurricane, von dem sich die Beteiligten nicht erholt haben. Immerhin zeichneten die scheidenden Wayne Hussey, Craig Adams und Gary Marx nahezu ausschließlich für das von David Allen mitunter ein wenig dünnblütig produzierte Songmaterial verantwortlich, darunter düstere Epen wie „Black Planet“, die zum Teil deutsch gesungene Liebesode „Marian“ und der mittelalterlich angehauchte Titelsong. Selbst wenn die britische Musikpresse etwas zu vollmundig Eldritchs Dichtkunst das Niveau von Rimbaud und Baudelaire attestierte – ohne seine Weggefahrten stand es denkbar schlecht um den mittlerweile von zahllosen Fans im Teenageralter verehrten Einzelgänger.

Doch Andrew Eldritch und DrumcomputeT Doktor Avalanche kamen wieder auf die Beine auch wenn das Ergebnis gut zwei Jahre auf sich warten ließ. Eine Zeit, in der sich Wayne Hussey und Craig Adams mit der Nachfolge-Formation The Mission zum verpoppten Zugpferd der Gothic-Erfolgsweile stilisierten. Wenig überraschend dominierte auf dem in Duo-Besetzung mit Ex-Gun-Club-Bassistin Patricia Morrison eingespielten FLOODLAND ausgerechnet das Thema „Krieg“. Um sich von seinen Ex-Kollegen abzugrenzen, hieß es für Eldritch klotzen statt kleckern. Für die vorab ausgekoppelte Single „This Corrosion“ reiste der Neu-Hamburger nach New York, um sich dort von Meat Loafs Komponisten Jim Steinman und der New York Choral Society eine großorchestrierte Hymne auf den schmalen Leib schneidern zu lassen. „Martialische Borgia-Disco“ taufte Andrew Eldritch den stark modifizierten Stil der Sisters Of Mercy maliziös. Das zahlte sich in klingender Münze und europaweiten Top-Ten-Platzierungen für Single und Album aus. Auch die wuchtigen Sequenzerläufe im gigantomanischen Phil-Spector-Produktionsstil der Nachfolge-Singles „Dominion“ und „Lucretia My Reflecrion“ zündeten kommerziell. Frei nach dem Motto: „Do The Armageddon- Apocalypse Now“. Zusätzlich finden sich mit einer sagenhaften Zeitlupen-Fassung von Hot Chocolates „Emma“ und der Full-Length-Version von „Never Land‘ zwei lang gesuchte Raritäten.

Zur Zeit des dritten und finalen Werks VISION THING bewegte sich Andrew Eldritch wieder talwärts. Eine international etablierte Kunstfigur des Pop, die sich zumindest in der Öffentlichkeit – selbstverliebt wie einst Marc Bolan zwischen Coverstory, Videodreh und schreienden Fans bewegte. Doch der privat extrem scheue Eldritch entwickelte sich zunehmend zu einer bitterbösen Rock’n’Roll-Parodie. Angewidert von den Mechanismen der Musikindustrie, wechselte er 1990 abermals den Stil: Statt üppiger Synthesizer dominierten metallische Gitarren, statt dem Glamour-Duo mit der gerade gefeuerten Morrison gab es erstmals seit 1985 wieder eine, wenn auch nur kurzlebige, Quartett-Besetzung. Mit Bassist Tony James (Ex-Generation X, Ex-Sigue Sigue Sputnik), Gitarrist Tim Bricheno (Ex-All About Eve) und dem 21-jährigen Hamburger Gitarristen Andreas Bruhn lieferte Eldritch seine gan2 persönliche Sternstunde: ein Album im Stile von Marc BolansGIam-Meilensteinen ELECTRIC WARRIOR und THE SLIDER. Unwiderstehlich poppig, aber nicht anbiedernd wie andere Kollegen jener Ära, überzeugen knochentrockene Rocker wie „Ribbons“, „Doctor Jeep“ und das abermals von Jim Steinman perfekt inszenierte „More“ in facettenreichen Arrangements. Reminiszensen an den einen oder anderen Helden aus Andrew Eldritchs Jugend und zwei wunderschöne Balladen inklusive. MIKE Köhler >» www.thesistersofmercy.com

Discographie:

1985 First And Last And Always

1987 Floodland 1990 Vision Thing

1992 Some Girls Wander By Mistake [Compilation]

1993 A Slight Case Of Overbomning (Compilationl

(alle Merciful Release/Warner)