Rick James


Seine Erfolge in den USA sind phänomenal. Rick James, mit großem Aufwand zur WDR-Rocknacht eingeflogen, hätte sich daher im Interview auch am liebsten hinter Zahlen verschanzt Keine leichte Aufgabe für Funkateer Ulli Güldner, der schließlich für den Musik Express und nicht für das Monatsblatt der Bilanzbuchhalter vor Ort war.

Hey, hör mal zu! Ich mach‘ Musik, verstehst du, und wenn sie dir gefällt … riesig! Wenn nicht, dann kannst du mich am Arsch lecken. Ich bin nicht hier, um irgendwem ’nen Gefallen zu tun. Höchstens mir selbst und all denen, die Rick James mögen. Wenn dir Rick James nicht paßt … fuck you …

Das war deutlich. Und nötig. Rick James in der Defensive, giftig, gereizt, gestikulierend. Allzu lange war unser Interview so dahingeplätschert, ein Interview, bei dem Rick James kurz und knapp mit vorbereiteten Allerweltslosungen parierte und mich unangenehm deutlich daran erinnerte, daß unser Small Talk nichts weiter ist als … (s)ein Job, lästige Begleiterscheinung des Erfolgs. Und den hat Rick James. Zumindest mit dem Wissen um Rendite, Mehrfachplatin und Guiness-reifen Besucherrekorden im Land der grenzenlosen Unmöglichkeiten dürfte wohl jeder seiner Gesprächspartner den Nachhauseweg angetreten haben.

Machen wir’s kurz: Rick James hat zig Millionen Platten verkauft, seinen eigenen Worten zufolge „allein in den letzten drei Jahren mehr, als ir- gendein anderer Solist jenseits des Atlantik.“ Und er hat eine Marathon-Tournee hinter sich, bei der alle Rekorde purzelten – lediglich bei Mick Jaggers Rock’n’Roll-Pensionären war der Andrang größer. „Einmal hatten wir sogar 86.000 zahlende Besucher“, flüstert mir seine Managerin ehrfurchtsvoll zu. Davon dürften ja wohl 76.000 ohne Feldstecher ziemlich aufgeschmissen gewesen sein. Wie war das eigentlich vor so einer Kulisse, Rick? Dreimal dürft Ihr raten. „Great“, natürlich! Also, trotz zunehmendem Regionalismus, trotz Rezession, trotz Ronald Reagan … Rick James ist the man to watch, und – wäre sein Teint ein paar Nuancen heller – selbst Amerikas unangefochtener Messias Bruce Springsteen hatte Schwierigkeiten, seinen Stammplatz auf dem großen Rock’n’Roll-Olymp zu behaupten.

48 Stunden, bevor German Television für die Rocknacht auf Sendung geht, empfängt man uns standesgemäß am kalten Büffet. Und damit überhaupt keine Zweifel aufkommen: Ricks Ausstrahlung, seine Selbstsicherheit, sein bestimmtes, herrisches Auftreten signalisieren – er, und niemand sonst, ist der Chef im Ring. Und das, obwohl einem von allen Seiten Warnungen entgegenschlagen: Rick James hat ein fürchterliches Hangover, Rick James hat die Zeit- und Temperatur-Umstellung noch nicht verkraftet, der Arzt war auch schon da; Rick James hat … eigentlich nicht die geringste Lust zu debattieren …

Und er zieht sich dann auch bei jeder Frage mit einem Rechenexempel aus der Affäre. Zunächst jedenfalls. Hat er nie Bedenken gehabt, daß die Verbindung zum Ghetto abreißt?

„Doch, für’n Augenblick, nach GARDEN OF LOVE“

Einem Album, das überwiegend Balladen enthielt…

„Hat damit nichts zu tun. Das Ding ist einfach nicht gelaufen. AU meine anderen Platten haben ’s leicht auf Doppelplatin gebracht …

Akzeptierst du das ganze ‚Big Bucks‘-Business mit seinem starren Korsett, seinen reaktionären Attitüden, seiner rassistischen Polarisierung?

„Klar. Ich war mit STREET SONGS schließlich auf Nr. 3 in den nationalen Charts.“

Das wollte ich eigentlich gar nicht wissen …

„Hey Man, natürlich tummelt sich ’ne Menge bullshit in den Charts. Deswegen verkaufen ja auch nur die Stones und ich in größeren Quantitäten.“

Es wird allerhöchste Zeit, mit dem respektvollen und reservierten Geplänkel Schluß zu machen, bevor man vollends auf Zahlen programmiert und sanft aber bestimmt hinauskomplimentiert wird … Ist es denn nicht ein bißchen billig, mit kapitalistischer Logik jede Stufe deines Erfolges zu rechtfertigen? Oha! Rick James ist einen kurzen Augenblick von der Rolle, wirkt irritiert, reagiert überraschend impulsiv: „Ich behandle das Business … wie ’nen Haufen Scheiße, kapiert? Es ist nun mal…R& B, Rhythm & Business …“

Den Begriff hat ja wohl Bootsy geprägt?

„Hör bloß mit dem auf. Wer will denn von dem ganzen Shit um Sir Nose, seinen Spaceships und Aqua Boogies‘ was wissen? Bootsy und Clinton könnten nie Balladen schreiben, nie ein Album wie GARDEN OF LOVE fertigstellen. Außerdem, wer geht schon zu Bootsy … Kleinkinder vielleicht. Zu Rick James zieht’s jeden, auch Beamte, Ärzte, Politiker…

Das Design deiner Platten wirkt sehr durchdacht. Du posierst grundsätzlich mit schwarzen und weißen Beauties. Ist das ein verkaufstechnischer Schachzug?

“ Es ist vor allem.. ‚. ehrlich. Ich bin halt gern in weiblicher Gesellschaft“ – Rick James lächelt zum ersten Mal – “ und mir ist dabei völlig egal, ob die Mädchen schwarz, weiß, gelb oder grün sind. Klar, eine Marketing-Strategie steckt auch dahinter.“

Funkateers wie Bootsy, Captain Sky oder Prince Charles würden auf solche Kompromisse pfeifen …

„Darum verkaufen die ja auch keine Platten. Hey shit, paß mal auf: Wenn du nach Opportunisten suchst, dann fang bei Lionel Ritchie von den Commodores an. Der will ein fetter Rock’n’Roll-Star werden. Mir hat nie jemand reingeredet, weder Motown noch irgendwer sonst, und soweit wird es auch nie kommen. Ich rauche Marihuana und ich schreibe Songs darüber. Ich hasse Bullen und bringe das zum Ausdruck. Bullen haben einen meiner engsten Freunde umgelegt, ‚Mr. Policeman‘ handelt davon. Frag nicht, was man darüber denkt … I don’t give a fuck!“

Und wie es in Amerika ja wohl gar nicht anders zu erwarten war, ist der Song bei den meisten Radiostationen prompt auf dem Index gelandet …

.Richtig, und bei meiner Widmung an Mr. Reagan, die ich fürs nächste Album aufgenommen habe, wird das kaum anders sein. Aber ich will trotzdem nicht zu politisch argumentieren. Warum auch? Den Kids kannst du doch eh nichts mehr vormachen. Jedem ist doch klar, daß es uns beschissen er geh t als je zuvor. Jeder redet von El Salvador, von dem ganzen Scheiß im Weißen Haus und von Reagan, der die Steuerschraube zudreht und über Leichen geht… I want to take their minds off that shit!“

Was ist eigentlich an dem Gerücht dran, daß du mit so einem Holzfäller wie Ted Nugent die Friedenspfeife geraucht hast und nun deine arglosen Funkster mit einem Heavy Rock-Album überrumpeln willst?

Rick James lacht zum ersten Mal, und mir kommt jetzt sogar sein Geschäftssinn wie gerufen, der eine solche Kooperation von vornherein ausschließt. Früher hatte sich Rick James übrigens selbst mit Blues und Rock’n’Roll durchgeschlagen. Aber es fällt schwer, in seiner Prä-Motown-Ära herumzustochern, mehr als ein paar unverbindliche Statements gibt er ungern preis. Ja, er ist in Buffalo aufgewachsen, seine Mutter brachte acht Kids alleine durch, war ’ne verdammt harte Zeit. Basta. Danach traf er einen gewissen Neil Young wer hätte gedacht, daß wir uns mit dieser Story in Rock-historischen Jagdgründen verheddern – mit dem er drei Jahre lang durch R & B-Clubs zog. Young treckte dann ja bekanntlich um ’66 herum nach Kalifornien, wo sich die Hippies seinerzeit schneller vermehrten als die Kaninchen, und Rick James spielte noch jahrelang in zahllosen Clubbands, ehe er schließlich auf Mega-Funk umschwenkte, bei Motown unterschrieb und COME GET IT veröffentlichte. Womit wir wieder bei Doppelplatin angelangt wären.

„Ausschlaggebend für meinen Durchbruch war die Tatsache, daß ich mich von Anfang an auf ein gemischtrassiges Publikum verlassen konnte“, sagt Rick James.

Und das wiederum hat er vor allem seinen Shows zu verdanken, oder, genauer gesagt: seinen Revuen. Die Stone City Band, die Punk Funk Homs, Rick und die Mary Jane Band auf wenige Quadratmeter zusammengepfercht – das ist wie Silvester, Karneval in Rio und Holiday on Ice auf einmal. Und dabei entwickelt sich eine Materialschlacht auf Gedeih und Verderb, bei der alle pyrotechnischen Register gezogen werden, ganze Wagenladungen von Magnesiumbomben detonieren und Trockeneis gleich kubikmeterweise verpulvert wird.

Ich habe nie zuvor eine Show erlebt, bei der Höhen und Tiefen so dicht beieinander liegen, bei der Gegensätze so aufeinander prallen, so unvereinbar sind. Rick James leistet sich mit Tom McDermott einen Störfaktor an der Gitarre, der in einem Moment mit schmerzverzerrtem Gesicht alle Blackmore-Trower-Nugent-Geschmacklosigkeiten aufbrüht und im nächsten die sensibelsten Balladen mit dem greulichsten Acid-Junk versaut. Er ist es, der eine heillose, kaum zu neutralisierende Zerrissenheit stiftet, die mich an den von Rick so übel kompromittierten Clinton zu dessen HARDCORE JOLLES-Experimentierphase erinnert. Die Revue, das ist die große amerikanische Illusion, Big Fun für Rick James – und sie ist dabei mindestens genau so pluralistisch wie die Gesellschaft, die sie unter ein Dach bringt.

Die Überzeugungskraft von STREET SONGS erreicht sie allerdings nie, aber Show Business in dieser Größenordnung managt Rick James immer noch provokativer als Amerika recht sein kann. „Die Kids wollen ’nen Typen, der dieselbe Sprache spricht wie sie“, meint er lakonisch. “ Und ich bleibe in ihrer Nähe. Ich hab‘ zwar ’ne Ranch außerhalb von Buffalo, aber wenn ich runter an die Southside komme, häng‘ ich in den selben Bars rum, rede mit den brothers, zieh mit ihnen ’nen Joint durch. Ich weiß, wie einfach es geht, den Boden unter den Füßen zu verlieren, aber ich mach den ganzen Shit schon viel zu lange mit, um jetzt noch auf so ’nen Trip zu kommen.“

Rick James ist tatsächlich der Prototyp des unbeugsamen Guerillas, einer, der den Absprung geschafft hat, der mit dem Kopf durch die Wand geht und sich im Prinzip alles leisten kann.

„Das Cover seines nächsten Albums wird noch sexistischer ausfallen als alles alles bisher Dagewesene“, erzählt mir seine Managerin anschließend. Ob man ihm denn nicht schonend… „Nein!“, fällt sie mir mitleidig lächelnd ins Wort. „Rick James läßt nie mit sich reden …“