Rock am Ring/Rock im Park


Rock am Ring – Nürburgring, Eifel

Manchmal fahren die da auch Rennen. Aber meistens rocken sie rum. Gut so.

Tja, das sind so die Sachen, die man nur mitkriegt, wenn man bei Rock Am Ring einen Backstage-Pass hat: Hinter den Gebäuden an der Hauptbühne steht der „Claus Theo Gärtner Feldahorn“, das verrät ein Widmungs-Schild an dem Bäumchen. Jetzt müssten nur noch Superpunk auf der Center Stage ihr „Matula, hau mich raus“ zum Besten geben. Aber die lassen da keine linksradikalen Hamburger ran. Hier ist der Große Internationale Rock zu Hause. Morgen werden hier Audioslave derart gierige Massen mit ihrem gleichförmigen Funkmetal-Prog mobilisieren, gereckte Fäuste bis zum Horizont, dass man sich fragt, wie es um die andere der neuen Alt.Rock-Supergroups steht: Billy Corgans Zwan spielen am Freitagabend ihre Gitarrenschwälle in ein lustloses Rund, das zur Hälfte aus „Maiden, Maiden“ skandierenden Metallern besteht. Dickinson & Co. kommen heute als letzte. Hätte man 1993 die Prognose gewagt, Iron Maiden würden in zehn Jahren als Headliner eines Mainstream-Großfestivals ihr Spandex-Gefiedel von enthusiasmierten 18-Jährigen feiern lassen? Bizarr. Respekt, aber, äh, man muss weg, zur Alternastage: Da kann man sich die Hives ins Gesicht explodieren lassen, mit dem rockweise wie optisch fettesten Auftritt des Festivals. Die Schweden watschen einem ihre perfekt sitzenden Reißer mit so hochverfeinertem Posing um die Ohren, dass viele Fans ungläubig grinsend im Energiesturm stehen. „Howlin'“ Pelle Almqvist („We are The Hives. You are festival crowd“) stakst über die Bühne wie eine kirre Mischung aus Daniel K. und Malcolm McDowells Alex in „Clockwork Orange“, Nicholaus Arson zuckt wie unter Strom und zieht einige der unglaublichsten Gitarren-Wurf-Stunts ab, die man je in freier Wildbahn sah. Und Drummer Chris Dangerous guckt wirklich das ganze Konzert lang voll dangerous.

Schon möchte man sich dann nasrümpfend von Silverchair abwenden, bleibt aber an der unerwartet intensiven Bühnenpräsenz von Daniel Johns kleben. Der 24-jährige Macaulay Culkin des Grunge wirkt angetrunken und verströmt eine Mischung aus Gebrochenheit und latentem Zorn, die der Performance seines pompös auftragenden Prog-Alt.Rock manische Grandezza verleiht. Die aufgewühlte Stimmung hernach möchte man sich nicht verderben lassen von Reamonn, die als letzte spielen. Flucht erweist sich als probates Mittel.

Am Samstag erstmal Fragen: Warum kommt kein Schwein zum großartigen Surrogat-Auftritt auf der Alternastage? Und wer zum Vogel sind Saybia, die sich offenbar dem Zweck einer The Bends-Tribute-Band verschrieben haben? Bei den Turin Brakes fasst sich Ollie Knights nach 25 Minuten an den Hals und beendet den semiaufregenden Gig ohne Erklärung (Lebensmittelvergiftung, erfährt man später), Thees Uhlmann gibt sich schick angepisst von dem Kommerz um ihn herum: die Leute müssten nicht so rumflippen, so ein Rockstar-Getue brauchten sie nicht, erklärt er gleich zu Beginn des Tomte-Auftritts. Gut, zu wissen; ich war schon drauf und dran, ihm meinen Büstenhalter auf die Bühne zu werfen. Sir? Schön, dass es Badly Drawn Boy und seine Lieder gibt, die er grausig warm angezogen (zwei Schichten! Mütze! Einen Arzt!) auf Gitarre und Piano vorspielt. Dann rüber zur Center Stage und seinen Ohren nicht trauen, wenn Audioslave uneitlerweise ihren erwähnten Monster-Gig mit einem 1:1-Cover (plus Bass) von „Seven Nation Army“ von den White Stripes beginnen. Einer tieferen Verbeugung einer Major-Band vor Zeitgenossen entsinnt man sich schwer. Höherer Gitarristensprünge wie der des unglaublichen Tom Morello und glasigerer Augen wie der von Chris Cornell auch. Nach Mitternacht dann Placebo, die – kurzfristig als Ersatz für Linkin Park (Chester Bennington ist „erkrankt“) verpflichtet – vom Pink Pop angereist sind und heldenhaft ihren zweiten Gig des Abends spielen. Und deren Rock mit aufgestockter Band (Zweitgitarrist, Keyboarder) noch mehr Druck hat. Das Trio ausgebaut haben auch die Stereophonics, aber das ändert wenig daran, dass man Kelly Jones nach zwei Songs die Nase zuhalten möchte. Spät im WDR noch der Evanescence-Auftritt vom Nachmittag, der erste in Deutschland der US-Gothrocker. Ein seelenloser, charmefreier Bockmist vor dem Herrn. Gute Nacht.

Sonntagnachmittag, Center Stage. Regen. Die Frisur sitzt nicht, aber egal, jetzt wird eh das Haupt geschüttelt, zu Queens Of The Stone Age, der – ha! – besten Hardrockband der Welt. „A little rain never hurt anyone“, brummt Josh Homme rothalsig, dann pressen sie ihre Dumdum-Geschosse von Songs raus. Später kommt die ehrfurchteinflößende Vogelscheuche Mark Lanegan für zwei Stücke auf die Bühne. Und Nick Oliveri hat ein Bild von Brian Wilson auf seiner Bassbox kleben. Groß. Geil gar.

Sodann drängen Wikingerhorden von Fans der Deftones heran, wer Angst vor Knochenbrüchen hat, enteilt zur Alternastage. Da soult Patrice rum, dann kommt der explizite Lyriker Kool Savage. Du hast kein Interesse, wie der rappt? Na gut, dann zurück zur Hauptbühne, da ist jetzt Marilyn Manson dran mit seiner gespannt erwarteten „Grotesk Burlesk“ Show. Viel schräger Fascho-Pomp (der Auftakt mit im Stampfbeat gereckten Fäusten ist „The Wall /“In The Flesh“ galore), Tänzerinnen mit umgeschnallten Gummimösen und Manson mit extra-schockigen Verkleidungs-Gimmicks. Nur ein wirklich bedrohliches Moment stellt sich selten ein – bei Silverchair vorgestern hatte man mehr Schiss, es könnte etwas Unschönes passieren. Hm. Die Zwiegespaltenheit hat bald Ruh‘ – um halb elf ist Schluss mit Kasparmucke: Metallica sind da. James Hetfield trägt Mütze, wirkt drahtig, ist freundlich zum Publikum („Thanks for having us“) und setzt seinen heiligen Zorn frei. Vom neuen Album gibt’s dann nur zwei Songs, den Rest erledigt ein Grundfeste erschütterndes Best-Of-Trommelfeuer aus allen Rohren. Zweieinhalb Stunden tobt das Fest, gestandene Headbanger weinen vor Glück (beinahe zumindest) – derweil auf der Alternastage der dortige HipHop-Tag mit einer formidablen quasi-Comeback-Show der Beginner ausklingt. Also doch noch ein paar linksradikale Hamburger zum Schluss. Sehr gut. „Yo! Rock im Park!“ grölt ein enthemmter Denyo. „Rock am Ring, Digger“, korrigiert Eißfeldt schnell. Dabei ist das doch genau unser Stichwort … Josef Winkler

Rock im Park

Wir schalten um zu unserem Reporter Oliver Götz ins Frankenstadion nach Nürnberg. Hat sich bei euch was getan, Oliver?

Quiet is the new loud. Bei „Monsters Of ‚Rock im Park'“ findet das Motto des „New Acoustic Movement“ seine Erfüllung. Denn nicht auf der Center Stage im Stadion, wo sie groteske Verstärkertürme umherschieben, findet Rebellion statt. Dort erfüllen immerfort wütende Herren vor allem die an sie gestellten Erwartungen. Monsters of kalkulierter Raserei. Dem Wollmützenmann gefällt das nicht. Auf der Alternastage mausert sich der Badly Drawn Boy zum letzten Rebellen „im Park“. Nuschelt in seinen Bart, verhaspelt und verweigert sich. Zupft auf der Gitarre und ertastet am Flügel hausgemachte Hits, um dann lieber doch zur B-Seite oder zur Hippie-Hymne „Let The Sunshine In“ hinüberzuschlurfen. Die Turin Brakes versuchen das Dilemma wenigstens zu diskutieren. Nichts gegen all das Tosen, meinen sie, aber: Eher reflektiertes Musizieren könne doch nicht schaden. Tun’s und rühren doch kaum an. Gewagter noch die These der schwedischen Paradiesvögel von The Ark zu dem, was um sie herum bei Gerstensaft gefeiert wird. Die Hives, so Sänger Ola Sato über die Landsleute, spielten nur die wilden Männer, weil sie in Wahrheit homosexuell seien. Rock im Park – eine verhinderte Schwulenparade? Darüber könnte man später ja noch bei Dosenbier und St. Anger diskutieren. Im Übrigen lässt sich nur hoffen, dass The Ark ihren Aufstieg fortsetzen. 2002 Talent Forum,’03 Alternastage. Lasst sie 2004 ihren pathetischen Himmelsturm ins Stadion tragen, da gehört er nämlich hin.

Die Cardigans hingegen wünscht man sich schnellstens nach Hause in die Wohnstube. 60s-Mustertapeten und baumelnde Leuchter auf der Bühne können eine solche Atmosphäre freilich nicht ersetzen. Doch der Festivalnachmittag ist gnädig mit ihnen. Sie konzertieren aber auch allerliebst und differenziert, verwöhnen mit so kraftvollen wie verletzlichen Songs. Das Stadion swingt mild, noch Stunden später können wilde Gesellen in Metallica-Shirts nur an die anmutigsten Grübchen der Welt denken. Danke, Großbildleinwand!

Depeche Mode-Meistermatz Dave Gahan dürfte für Nahaufnahmen weniger übrig haben. Das Leben im Rock’n’Roll gewordenen Synthpop, das ihm bis heute alle Sicherheit verweigert, hat Spuren im Antlitz hinterlassen. RiP-Besucher bekommen aber vor allem Lachfalten zu sehen: Gahan freut sich wie ein Schulbub über seine Solo-Emanzipation in concert, wo Paper Monsters-Stücke freundlich und rockig aufbereitete DM-Klassiker euphorisch begrüßt werden.

Abschließend würde der Autor noch ein paar Pokale loswerden wollen: den „Durchhalten!“-Award für die Fans von Apocalyptica, die noch zum Celli-Stakkato moshten, als Petrus die Spülung der 1. FCN-Abstiegsschüssel kräftig durchzog, den „Gleich-werde-ich-unter-Jubel-meinen-Präsidenten-als-Idioten-bezeichnen“-Award für Moby und den „Wir-sind-die-coolsten-Schweine-eines-jeden-Festivals“-Award für Queens Of The Stone Age. Zurück in die Funkhäuser.

Oliver Götz

>>> www.rockamring.de; rockimpark.de