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„Rocketman“-Kritik: Wie eine Dauerwerbesendung aus den 90ern


„Rocketman“ ist kein Biopic mit Gesangseinlagen. Der Film ist eine zwei Stunden andauernde weichgespülte Selbstbeweihräucherung. Was hier fehlt, sind Dreck, Sex und ein kleines Update.

Man stelle sich nur mal diese in den 90ern wahnsinnig beliebten Puzzles in Schwarzweiß vor, die immer noch ein Highlight in Farbe im Fokus hatten. Eine Rose. Oder ein Herz. Jetzt gibt es so etwas hauptsächlich in Souvenirläden. Oder eben in „Rocketman“.

Da ist Glamourboy Elton John selbst das knallige Fokusstück, als er in einem strahlend roten Bühnenoutfit von seiner gegenwärtigen Therapiesitzung spontan in seine Kindheit verschwindet. Er bewegt sich also durch seine komplett entsättigte, fast schwarzweiße Heimatstraße und schaut sich so knallrot als Kind sowie seiner Familie für einen Moment zu. Das ist Kitsch. Gleich in den ersten fünf Minuten des Biopics. Klar, wer Elton sagt, muss auch Übertreibung sagen. Aber geht es auch so, dass es im Jahr 2019 Sinn ergibt, es ins Kino zu bringen?

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Zwei Stunden dauert das Biopic über die britische Musikikone an. Es wäre so schön, wenn man sagen könnte, es sei ein Werk voller Retro-Momente und für die Nostalgiker unter uns. Aber auch wenn es all das sein möchte, ist es in erster Linie zerfahren.

John, der selbst als ausführender Produzent in Erscheinung tritt, scheint hier insbesondere seine früheren Jahre mit Mutter und Vater aufarbeiten zu wollen. Mit den Eltern konnte er sich nie richtig aussprechen – und genauso stockend oberflächlich verlaufen auch die Szenen aus dieser Zeit. Anstatt eine echte Emotion zu zeigen, wird geträllert oder getanzt. Als würde es sich nur um eine Werbeunterbrechung kurz vor dem großen Streit handeln. Ganz so, als müsste hier nur einmal mit Persil gewaschen oder mit Meister Propper geputzt werden und schwupps, würde es keine Probleme mehr geben. Das gleicht einer Dauerwerbesendung, die sich jeglicher Modernität entzieht.

Wo ist bloß das Unperfekte?

Dabei ist mit Dexter Flechter ein Regisseur am Drücker, der das Chaos am „Bohemian Rhapsody“-Set zum Schluss noch zu einem knackigen Musikfilm machte. Dieses Mal scheint er ganz auf das Fan-Phänomen hereingefallen zu sein, das entsteht, wenn der Protagonist des Biopics noch völlig lebendig ist und auch noch zum Dreh hinzugezogen wird.

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„Rocketman“ erweist sich als zu nett. Bloß nicht in die Tiefe gehen, es könnte ja angeeckt werden. Doch mit dem Ablauf von Aufstieg, Fall und neuem Aufschwung sind wirklich jegliche Stereotype des Musikfilmgenres bedient. Da gibt es den gierigen wie unemotionalen Manager (gespielt von „GoT“-Darsteller Richard Madden), die nicht unterstützenden Eltern (Bryce Dallas Howard und Steven Mackintosh), die Drogensucht, den Hang zum Exzentrischen und die Kumpelei unter Künstlern (mit Jamie Bell), die direkt die Familie ersetzen könnte.

Und Taron Egerton als Elton John mit XL-Brille? Der trägt zu diesem aalglatten Image des Films bei. Jedes noch so krasse Closeup auf den „Kingsman“-Star lässt kein sonderlich subtiles Schauspielern erkennen. Wenn er mit Richard Madden knutscht und sie ihre Hosen fallen lassen, bleibt das Gezeigte immer vollkommen harmlos. Schnell schiebt sich die Kamera vom Bett nach oben an die Decke, um bloß nicht zu explizit zu werden. Es fehlt das Echte. Die Schicht unter der Oberfläche. Nur ein bisschen mit Gefühl, mit dem Unperfekten, mit richtigem Schweiß.

Fazit: Letztlich will „Rocketman“ keinen Mythos aufbrechen. Der Film ist das Sprachrohr von Elton John, der sich zu Lebzeiten gut dargestellt wissen will, der sich seinen Fehlern stellen und den Menschen, die ihm schadeten, genau hier und jetzt verzeihen möchte. Das ist cheesy und wäre sicher besser als Musical-Showeinlage in Vegas aufgehoben.

„Rocketman“ startet am 30. Mai 2019 in den Kinos.