Ryan Adams: Transzendentaler Klempner


Ryan Adams plaudert über Instant-Coffee-Songs, ärgert sich immer noch über Willie Nelson, und wenn es im Gespräch mit ihm und Brad Pemberton um Chaos und Struktur in der Musik geht, heben wir tatsächlich ein Stückchen ab.

Ryan Adams und Cardinals-Schlagzeuger Brad Pemberton residieren in einer kleinen Suite des Palace Hotel in München. Brad sitzt im Schneidersitz in einem Ohrensessel, was bei näherer Betrachtungäußerst sportlich aussieht. Ryan – Bluejeans, Jeansjacke, Cowboystiefel – ist meistens in Bewegung, räumt die Teller vom Mittagessen weg, kramt in seiner Reisetasche. Erst nach einer Weile lässt er sich auf der weißen Couch gegenüber nieder.

Was war besonders an der Arbeit an Easy Tiger?

RYAN ADAMS: Die Stücke wurden zuvor ausführlicher live getestet. Wir haben mehr gemeinsam geschrieben, die Cardinals halfen tatkräftig mit, die Platte zu machen. Dabei war ich ursprünglich gebeten worden, ein Soloalbum aufzunehmen.

Sind die Songs fertig, bevor ihr ins Studio geht?

BRAD PEMBERTON: Manche sind fertig, manche werden im letzten Moment geschrieben: „Coffee-Songs“.

RYAN: Trink eine Tasse Kaffee, entwickle den Riff, komm in Stimmung. Das Nächste, was du weißt, ist: Du hast einen guten Song.

Ist der erste Entwurf meist der beste?

BRAD: Nicht unbedingt der erste Entwurf, aber oft die erste Aufnahme. Wir wissen meist nicht, wo es enden wird. Wir beginnen zusammen und hören zusammen auf. Oft bist du selber am Suchen, und wenn du das Ergebnis dann hörst, weißt du: Es ist fertig.

Warum habt ihr mit Jamie Candiloro einen Produzenten beschäftigt? Beim Willie-Nelson-Album SONGBIRD hast du doch gezeigt, dass du auch selbst produzieren kannst, Ryan.

Ryan: Es ist wichtig, die beiden Disziplinen zu trennen. Meine Songs sollten noch durch einen Filter gehen. Ich liebe Jamies Filter. Jamie ist ehrlich. Er wird einen Song mixen und produzieren; er wird ihn nicht schönfärben, er wird nicht viele Dinge hinzufügen.

Wie war es, als Produzent für Nelson zu arbeiten? War sein Name eine Belastung?

RYAN: So was ist mir egal. Jeder, mit dem ich arbeite, muss dieselben Sachen machen. Er muss verdammt noch mal arbeiten. Ich versuche es den Leuten, die ich produziere, doppelt schwer zu machen. Viele Anregungen für die Produktion sind kleine Dinge, die ich von Produzenten habe, mit denen ich gearbeitet habe. Der Song kommt zuerst. Ich mache Polaroids: Die Songs müssen keine Gemälde, sie müssen Dokumente sein. Wenn es ein großes Stück Kunst wird, dann deshalb, weil der Moment so intensiv ist. Mit Willie zu arbeiten, war keine große Sache. Meiner Meinung nach hat er elendig versagt. Aber wenn ihn das nicht stört… Es ist jedenfalls ein furchtbares Album.

Im Vergleich zum Vorgängeralbum war es aber doch ein Fortschritt für Willie?

RYAN:Ich will ein Steak. Es ist mir egal, ob es ein Veggie-Burger auch tun würde. Ich will Steak! Ich will die Arbeit fühlen, die reingesteckt wurde. Für die Platte hätte ich deshalb auch gerne mehr von seinen Kompositionen gehabt. Doch Willie verlangte, dass wir Coverversionen spielen. Dabei wurde mir ursprünglich gesagt, und auch die Band wurde in dem Glauben gelassen, dass er eigene Songs mitbringen würde.

Ich war überrascht, dass so wenige seiner Songs auf der Platte waren.

BRAD und RYAN unisonso: Wir auch!

RYAN: Dass, was auf dem Album zu hören ist, ist das, wozu er fähig war. Er hatte es offenbar einfach nicht nötig, öfter zu erscheinen und mehr zu machen. Er hatte jede Hilfe, um die er verdammt noch mal bitten konnte. Aber er hat es vergeigt.

Trotzdem habt ihr Frische auf das Album gebracht.

Brad: Bei vielen Platten, die er gemacht hat, kam er für einen Tag rein, sang, spielte Gitarre und ging wieder. Bei dieser Platte musste er zusammen mit uns spielen.

RYAN: Er wollte es so haben! …Trotz all der Dekadenz, die ich über die Jahre erfahren habe, habe ich immer sichergestellt, dass ich wenigstens im Studio auftauche. Ich habe nicht anderer Leute Zeit verschwendet.

Du hast 2005 drei Alben in Reihe veröffentlicht. In vielen Interviews musstest du dich für diesen großen Output verteidigen.

RYAN: Dass ist ein geringer Preis, den ich dafür zahle, dass ich das mache, was ich will. Die Marketing-Seite einer Platte verstehe ich sowieso nicht so ganz. Aber ich verstehe die Kunst-Seite. Ich kaufe viele Platten, ich bin ein großer Fan von Alben. Es ist niemals eine Last für mich, Platten einer Band zu hören, die ich liebe. Einige Songs mag ich vielleicht mehr als andere, aber es sind die anderen Songs, die eine Band macht, die mich wiederum jene Songs so lieben lassen. Es mag verrückt klingen, aber du kannst „Tumbling Dice“ ohne „I Just Want To See His Face“ nicht haben.

Muss man deine Platten chronologisch als Dokument deiner Kreativität lesen?

Ryan : Ich glaube einfach, dass andere Künstler fürchterlich faul sind. Denn wenn du Gitarre spielst und keine verdammten 24 Songs pro Jahr schreiben kannst, dann musst du aufhören. Mach uns Künstlern Platz, die wir morgens aufstehen und zur Arbeit gehen!

Es geht dir um Arbeitsmoral…

Ryan: Ich bin tatsächlich diesem Typ ähnlich, der jeden morgen um vier Uhr aufstehen muss und als Klempner arbeiten geht.

Hast du manchmal Angst davor, die Fähigkeit zu verlieren, Songs zu schreiben?

RYAN: Nein, dann würde ich eben darüber Songs schreiben. Ich hatte Schreibhemmungen, als ich Love Is Hell. schrieb. Wenn ich mir aber heute mein Skizzenbuch mit den Einträgen von damals ansehe: Für jemanden, der Schreibhemmung hatte, habe ich ziemlich viel geschrieben. Es ist absurd, sich vorzustellen, dass es nichts gibt, über das man reden kann.

Erinnerst du dich an deine erste Platte?

Ryan: Ich dachte damals, jeder Mensch auf der Welt hört Bands wie Alabama, und Lynyrd Skynyrd seien die berühmtesten Menschen der Welt… Für mich ist Stil etwas Ironisches. Meine ganze Musik nimmt Bezug darauf, dass ich denke, ich kann zwei Sekunden Semi-Countrymusik machen und dann abstrakt werden oder seltsame indische Gitarrenparts einbauen. Alle diese kleinen Referenzen halten die Idee am Boden, zementiert in der Gegenwart, damit ich eine Geschichte besser erzählen kann. Ich betrachte die Musik vom Standpunkt des kompletten Chaos aus, der Desorganisation. Für mich sind die Momente, in denen es kohärente Akkordverbindungen gibt, deshalb sehr ironisch.

Ist die Musik gewissermaßen immer da, kann aber nur für Momente strukturiert werden?

Ryan: Ich sehe Chaos vor der Struktur, und die Struktur ist die Ironie. Ich sehne mich nicht nach Struktur, fühle aber, dass ich immer wieder darauf zugehe.

Ist Struktur eine Lüge?

Ryan: Nein, es ist ein Muster. Durch das Personen kommunizieren. Zeitsignatur und Struktur sind nur Formalitäten der Konversation. So wie wir beide miteinander sprechen: die Stille, die Pausen, die unvollständigen Sätze, die Blicke. Wenn Menschen sich gut kennen, verstehen sie sich mit Blicken. So funktioniert auch die Struktur der Musik.

Die Musik ist also ein Treffpunkt?

Ryan: Die Musik bin ich, und die Musik ist er (zeigt auf Brad). Wenn es zusammen passiert, ist es die Kombination verschiedener unterbewusster Haltungen. Das ist sehr metaphysisch. Wenn wir nicht sprechen würden, sondern nur über Musik kommunizieren, wären wir viel transzendentaler. Es würde weniger Sinn ergeben, aber wir wären auch viel vertrauter miteinander.

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