„Scheiße, ich fühl‘ mich so 53-jährig“


iTunes-Charts vom 21. März 2012, Platz 89: Madonna, „Girl Gone Wild“

Langeweile wird unterschätzt. Als Kulturleistung. Als Errungenschaft. Wie viele Milliarden Menschen im rastlosen Überlebenskampf sterben mussten seit der Erfindung des Universums, bis der Erste endlich Zeit und Muße genug hatte, sich mal in Ruhe hinsetzen und genüsslich sagen zu können: „Poah, Scheiße, ist mir langweilig!“

Madonna ist also nicht die Erste und wird nicht die Letzte sein im hoffentlich noch langen Lauf der Evolution, die mal gelangweilt ist. Von sich selbst, ihrem Werk, ihrem Vertrag bei Live Nation. Madonna, und das allein ist schon eine Herausforderung, muss ja überhaupt erst mal damit zurechtkommen, Madonna zu sein. Total harte Arbeit muss das sein, total viel Kraft muss das kosten.

Denn Madonnas Erzählung von sich ist seit drei Jahrzehnten exakt die gleiche, sie hat sie nie umgeschrieben: Madonna muss ständig gegen irgendwelche Widerstände ankämpfen, sich behaupten, gegen die Männer, die Konventionen, die Gesellschaft, die Religion, die Welt, den lieben Gott. In Wahrheit hatte sich diese Erzählung nach ungefähr drei Jahren Karriere eigentlich längst erledigt, weil Madonna ja rasend schnell die Größte war, die Reichste und die Geilste. Und doch hat sie immer wieder neue Widerstände ausgemacht, sich welche dazu erfunden. Eine Leistung, echt.

Sollte jemals Angst ihr Motor gewesen sein, Angst vorm Abstieg, Angst vor Konkurrenz, Angst vorm Unwichtigwerden, Angst davor, nicht mehr mithalten zu können mit den Jüngeren: Man hat es Madonnas Musik nie angehört. Und tut es noch immer nicht. „Girl Gone Wild“, die zweite Single des neuen Albums MDNA, klingt nicht wie eine künstlerische Sicherheitsverwahrung irgendwelcher Ängste, es ist auch kein Beleg dafür, dass Madonna ihren Instinkt verloren hätte für gute Produzenten oder gute Hooklines oder gute Beats. Oder dass sie gar ihren Geschmack eingebüßt hätte, denn Geschmack besaß sie nun wirklich nie. Deshalb ist es auch keine Geschmacklosigkeit, dass sich die 53-jährige Madonna in ihrem neuesten Widerstands-Songtext als Mädchen tituliert. Was sollte sie denn sonst singen? „Poah, Scheiße, ich fühl mich so 53-jährig?“

Die Single „Girl Gone Wild“ ist einfach ein Dokument existenzieller Langeweile. Ein schönes, stumpfes, sinnloses. So weit muss man es erst mal schaffen im Leben.