Kritik

„SCHW31NS7EIGER: MEMORIES – VON ANFANG BIS LEGENDE“: Wohlfühl-Doku eines Fußball-Weltmeisters


„Der blutet für uns“: Til Schweiger produziert ein als Sport-Doku getarntes Heldenepos über den deutschen Ex-Nationalspieler. Das Amazon Original bietet übermäßig nette und vor allem liebliche Unterhaltung, der es an Tiefe und kritischen Stimmen fehlt. Sonderlich viel Neues erfährt man leider auch nicht.

In den fast zwei Stunden, die diese Fußball-Doku dauert, gibt es vor allem eines zu sehen, nämlich die ganze Klaviatur männlicher Emotionen: Lachende Männer, jubelnde Männer (selbstverständlich mit Pokal in der Hand), weinende Männer oder gar verletzte Männer, die vielleicht sogar noch irgendwo bluten. „SCHW31NS7EIGER MEMORIES – VON ANFANG BIS LEGENDE“ – ja, das schreibt sich echt so – ist ein ganz schönes Wechselbad der Gefühle. Doch so sehr die Doku von Regisseur Robert Bohrer und Produzent Til Schweiger auf verschiedenste Art und Weise versucht, die Tränendrüse der Zuschauer*innen in Gang zu setzen, so einfältig gestaltet sie ihr Narrativ.

In keiner der dargestellten Szenen aus dem Leben des Bastian Schweinsteiger gibt es auch nur irgendeine Ambiguität, irgendeine Ungereimtheit. Dieser Mann, der im DFB-Jersey die Nummer 7 und im Verein die Nummer 31 trug, ist eines: ein waschechter Siegertyp. Zweifel lässt man gar nicht erst aufkommen. Und na klar: Gewonnen hat dieser 1984 geborene Bayer, der nun seit einigen Jahren in Chicago lebt – von wo er auch zu uns spricht –, tatsächlich so einiges: Weltmeister 2014, Champions League-Sieger 2013, zigfacher Deutscher Meister und DFB-Pokal-Sieger. Und, da schau her, ein Ski-Rennen gegen den späteren Weltklassefahrer Felix Neureuther hat er, wie wir erfahren, als Jugendlicher auch mal gewonnen. Ein wahrer Meister aller Klassen also, hier ist der Beweis!

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Doch beim Erzählen all dieser strahlenden Erfolgsgeschichten lässt die Doku zu selten Raum für Tiefe oder Momente der Kritik. Das macht „SCHW31NS7EIGER MEMORIES – VON ANFANG BIS LEGENDE“ leider zu einer besonders öden Art von mehrwertbefreitem Wohlfühl-Filmchen.

Schon zu Beginn gibt es eine Art Supercut mit den vielen, ja zu vielen Prominenten, die hier vorsprechen dürfen: Dazu gehören ehemalige Mannschaftskollegen wie Badstuber, Ballack und Boateng sowie Ex-Trainer wie Louis van Gaal und Jupp Heynckes, um nur einige zu nennen. Zu den üppigen O-Tönen gesellen sich zahlreiche Archivaufnahmen, selbstverständlich solche von internationalen Turnieren, aber auch einige Privataufnahmen, beispielsweise solche von seinem Vater Fred, der akribisch Bastians erste sportliche Gehversuche – ob auf der Skipiste oder dem Bolzplatz – dokumentierte.

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Die Doku nimmt uns auch mit ins Privatleben des zweifachen Vaters Bastian: Wir sehen Schweinsteiger, wie er mit seiner Frau, der ehemaligen serbischen Tennisspielerin und French-Open-Gewinnerin Ana Ivanović auf der Couch oder auf einer Restaurantterrasse sitzt und scheinbar alltäglichen Unterhaltungen nachgeht. Und hier erkennt man auch schon deutlich, dass sich Robert Bohrers Film an einem Trend orientiert, den man im Dokumentarfilm der vergangenen Jahre merklich beobachten kann: In diesen Momenten wird eine vermeintliche Distanzlosigkeit suggeriert, quasi so als würde der Porträtierte die Zuschauer*innen mit in seinen wahrhaftigen Alltag einladen und zwischendurch dann mal das eigene Leben für sie offenlegen, ehe dann nochmal kurz einer seiner Freunde oder Kollegen als O-Ton-Geber ein paar nette Worte über ihn sagen darf. Das ist nicht nur eintönig zum Anschauen, sondern in diesem Fall auch sehr einfallslos umgesetzt. Im Falle von „SCHW31NS7EIGER MEMORIES“ entlarvt sich dieser Ansatz sehr schnell als ermüdendes Mittel zum Zweck: Der zweifellos sehr gute und vor allem überaus verdiente Fußballer Bastian Schweinsteiger soll um jeden Preis und ohne jeden Zweifel auch als ebenjener Held mit Bodenhaftung wahrgenommen werden. Das wäre sicherlich auch ohne bedeutungsschwangere Szenen oder etliche Lobeshymnen gegangen, aber die vorliegende Doku belegt die Großartigkeit des Protagonisten lieber doppelt und dreifach.

Die Doku folgt einem Trend

Dabei ist „SCHW31NS7EIGER MEMORIES“ nicht das einzige Exemplar dieser Gattung von unkritischen Wohlfühl-Sportdokus, die in den vergangenen Jahren den Markt geradezu fluteten und nach denen es offenbar eine gewisse Nachfrage zu geben scheint. So finden sich zahlreiche aktuelle Doku-Serien über Fußballklubs wie „Inside Borussia Dortmund“ und „All Or Nothing: Manchester City“ bei Amazon Prime Video oder beim Konkurrenten Netflix („Boca Juniors – Hautnah“, „Juventus Turin – Der Rekordmeister“). Alle Doku-Serien haben gemein, dass sie sich selbst als dokumentarisch ansehen. Dass man hier den Stars beim Training für die eigenen (unerfüllten) Titelträume zuschauen darf, mag das eine sein. Freilich vermitteln diese Serien aber auch ein kalkuliertes Bild des jeweiligen Vereins, das von Marketing-Interessen und somit dem Vermitteln eines gewissen Images getrieben ist.

Im Kontext der Dokumentation über Bastian Schweinsteiger ist es allerdings noch spannender zu betrachten, dass er nicht der erste deutsche Spieler war, der in den vergangenen Jahren der Idee zusagte, eine Doku über sich drehen zu lassen. Mario Götze und Toni Kroos kamen ihm hier unlängst zuvor. Götze ließ sich für eine Miniserie („Being Mario Götze“) für den Sportsender DAZN begleiten – von Aljoscha Pause, einem Spezialisten für Sportdokus. Sein Mehrteiler bot erstaunlich viele Einsichten in die Branche und über die Erwartungen, die der „Held von Rio“ alltäglich mit sich herumschleppt. Ein absoluter Kontrast hierzu ist die Kino-Doku „Kroos“, in der der Titelheld lächelnd seine Erfolge ausstellt, aber einem gar nicht so viel von der tatsächlichen Person vermittelt wird. Wir erfahren hier nur das, was wir erfahren sollen, keinen Deut mehr.

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Gegenüber den Dokus seiner noch aktiven Kollegen bringt Schweinsteigers einen entscheidenden Vorteil mit, beendete der Protagonist doch 2019 seine Karriere. Sein aktives Sportlerleben hat somit seinen Verlauf schon genommen – und damit kann der Film eine klare, finale Conclusio liefern: Seine Karriere hatte viele Highs, es gibt aber auch Raum für Lows bei „SCHW31NS7EIGER MEMORIES“ – vor allem für ein ganz eindrückliches: Das verlorene Champions-League-Endspiel 2012, das als „Finale dahoam“ in die Sportgeschichte und die Albträume vieler Bayern-Anhänger einging, wird mehr als ausführlich behandelt. Der Ausgang ist allgemein bekannt, genauso wie die Bilder von Bayern-Spielern am Boden der Allianz-Arena und einem Bastian Schweinsteiger, der sich gekränkt sein Trikot über den Kopf zieht. Jupp Heynckes, damals Bayern-Coach, bezeichnet diese auch sonst titellose Saison als „Talsohle“.

Die Doku nutzt dieses kurze Tief geschickt als Momentum, aus dem Schweinsteiger dann umso gestärkter herauskommen sollte. Nach dieser Zäsur heißt es nämlich: Titel, Titel, Titel. Denn genau drei waren es ja dann im folgenden Triple-Jahr 2013. Die Zeit nach seinem Bayern-Abschied – er ging von da zu Manchester United – wird eher spärlich behandelt, genauso wie die Tatsache, dass der von einigen Blessuren geplagte Schweinsteiger unter dem einstweiligen Trainer José Mourinho eher einen Platz auf der Tribüne als auf dem Spielfeld innehatte. Die Zeit in der MLS bei Chicago Fire, wo er seine Karriere angenehm ausklingen ließ, wird schön und als eine Art Ankunft in einem neuen Zuhause präsentiert – obgleich er die anfängliche Euphorie auch dort nie so ganz in Zählbares ummünzen konnte.

„Poldi“ wieder als Spaßmacher unterwegs

Immerhin kann man aber in diesem bedeutungsschwangeren Crowdpleaser das ein oder andere zeitlose Bonmot entdecken. So sagt der porträtierte Ex-Mittelfeldstratege einen Satz, der in dieser Form nur von einem Fußballer kommen kann: „Spiele zu lesen, liebe ich tausendmal mehr, als irgendein Buch zu lesen“. Die besten Sprüche klopft allerdings Schweinsteiger-Buddy Lukas Podolski, der seine Spaßmacher-Rolle wie schon damals bei der DFB-Elf mit Bravour erfüllt. Seine lockeren, verschmitzten und abgebrühten Sprüche sind gewissermaßen die schönsten Momente in dieser staubtrockenen, ironiebefreiten Lobhudelei. Wäre „Poldi“ eine Theater-Figur, er wäre der „deus ex machina“, der überraschend reinkommt und uns mit seinem „comic relief“ erlöst. Von Sätzen wie „Ob das der Druck der Öffentlichkeit war oder einfach, weil wir so geil aussahen, weiß ich nicht“ – hier geht es um das DFB-Debüt der beiden im Jahr 2004 – kann man noch minutenlang zehren.

Doch leider sind solche ironischen Kommentare eines Lukas Podolski – einfach mal die Frisuren der beiden anno 2004 googlen – die Seltenheit. Meistens erschöpfen sich die Wortbeiträge in Phrasendrescherei („Stecker gezogen“, „An die Grenze gehen“) oder Superlativ-Vokabular („Göttlich“, „Held“). In einem Moment spricht Jérôme Boateng über die Schweinsteiger-Performance im WM-Finale 2014, in dem es recht hart zuging und dieser einen Cut im Gesicht erlitt: „Der blutet für uns“. Eine nahezu prophetische Aussage kam dann auch noch von Produzent Til Schweiger himself, der über Schweinsteigers verschossenen Elfer im „Finale dahoam“ sagt: „Als dann der Basti angetreten ist, da habe ich so gedacht: Das geht schief, das geht schief“. Na, hätte das der Basti mal selbst gewusst!

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Apropos Til Schweiger: Bei dem Film ist er zwar nicht Regisseur, dennoch prägt er „SCHW31NS7EIGER MEMORIES“ in seiner Funktion als Produzent, O-Ton-Geber sowie Music Supervisor maßgeblich. So führt er uns auch in seine Freundschaft zu Schweinsteiger ein: Einmal essen sie gemeinsam Pasta, einmal zeigt der Bastian dem Til die Bayern-Geschäftsstelle an der Säbener Straße.

Besonders prägend ist aber Schweigers Einfluss als Music Supervisor, da das Bildmaterial und die Wortbeiträge einen Ticken too much durch dramatisierende, aalglatte Filmmusik angereichert werden. Besonders gaga: Sogar Spielszenen werden mit Soundeffekten angereichert. Diese SFX klingen dann weniger nach Hollywood-Action, sondern erinnern an die Geräusche, die man so in Comics liest: „Pam“, „Ah“, „Uff“.

„The Last Dance“ wäre das bessere Vorbild gewesen

Erzählerisch wird Schweinsteigers Vita, ausgehend von der Kindheit in Bayern, vorwiegend anhand von Allgemeinplätzen aufbereitet und zielt auf die kollektiven Erinnerungen von der WM 2006 bis zu den großen Titeln anno 2013 und 2014 ab. Doch irgendwann erschöpft sich die harmlose Doku sehr in der eigenen Schwelgerei und man fragt sich, ob man es nicht auch ansprechender hätte aufbereiten können. Einen Beweis findet man schnell: Mit „The Last Dance“ feierte in den vergangenen Wochen eine Sport-Doku auf Netflix Premiere, die ebenfalls einen gefeierten Helden zum Protagonisten hat: Doch diese Mini-Serie traute sich, selbst einen Michael „Greatest of All Time“ Jordan mal den ein oder anderen negativen Charakterzug zuzusprechen. Machte ihn das etwa zu einem weniger schlechten Sportler? Schmälerte es seine sportlichen Ausnahmeerfolge, die er mit den Chicago Bulls erreichte? Nein, im Gegenteil: Es trägt zum Verständnis bei, warum dieser Mensch so getrieben war, Erfolge zu feiern.

Warum hingegen „SCHW31NS7EIGER MEMORIES“ wohl so ein nettes, liebliches Filmchen geworden ist, können wir am Schluss, kurz vor dem Abspann eindrucksvoll sehen: „Für Ana & Bastian“ steht da geschrieben. Ist das noch eine Doku oder schon ein Poesiealbum? Abseits von versilberten „Memories“ erfahren wir hier über ihn selbst doch recht wenig. Um das nochmal breit nacherzählt zu bekommen, hätte es nun wirklich keine Doku gebraucht. Es scheint, als möchte man die Zuschauer*innen hier lieber mit einem guten Gefühl, als einem Erkenntnisgewinn zurücklassen. Schade.