Sly & Robbie


c hannel One, Tummelplatz von Kingstons Session-Syndikat, ist das Studio mit dem basslastigsten Sound der Welt, ganz einfach … harder than the rest! Channel One-Pow Wows würden jedem verwöhnten Tontechniker den Magen umdrehen: Die EQ’s werden mit Leibeskräften nach oben gestemmt, bis die Bassmembranen auseinanderzufliegen drohen; jeder Anschlag des bassies erzeugt Erschütterungen wie ein hochtouriges Sensorround-System bei „Earthquake“ und ähnlichen Katastrophen-Filmen. Dabei richtet sich die Aussteuerung strikt nach bass’n‘ drums, dem Reggae-Heartbeat, Kernstück eines jeden Songs, gleichzeitig Rhythmus undMelodie, nach der Mitte also … denn die Mitte ist ja letztendlich so ziemlich das Einzige, was die billigen Transistorradios wiedergeben, die Reggae durch die Ghettos tragen. Da m uß ein guter Basslauf schon so resonant und eindringli jh sein, daß man problemlos den jeweiligen Song mitsingen kann, ohne das ganze Drumherum überhaupt wahrzunehmen. Robbie Shakespeare spielt einen solchen Bass, Sly Dunbar ist sein Partner an den Drums, zusammen sind sie ein Synonym für den Reggae-Heartbeat; das niedrige und unkomfortable Channel One-Studio in Kingstons Westend ist ihre Operations-Basis. Rede bloß keiner von Session-Musos, denn das ist in Jamaica oft gleichzusetzen mit der gesichtslosen, akkordarbeitenden Exekutive, gefeiert und gefeuert – auch wenn heute nicht mehr mit Wild West-Methoden produziert wird – Halsabschneider gibt es immer noch genug, Honorare werden bisweilen per Faustrecht eingetrieben, Credits sind noch lange keine Selbstverständlichkeit. s ly und Robbie sind ü dieses Stadium aus. Als Charme Hausband spielen sie etwa dieselbe Rolle wie früher Benny Benjamin und James Jamerson, die klassische Motown-Rhythmus-Achse, die bei jeder, aber wirklich jeder Tamla-Session antrat. Sly und Robbie können jedes x-beliebige Honorar fordern, haben um 76 herum mit RIGHTTIME, dem ersten Diamonds-Album, das formalisiert, was man bis heute rok kers nennt und seitdem Dutzer; de neuer riddims eingeführt. Trotzdem waren sie bis vor drei, vier Jahren in erster Lir.. .Begleitmusiker“ (gräßlichf Wort!), zwar Garanten für Kgnuität und gefragt wie niemand sonst aber,… na, ,nicht eben total hip“, bietet Robbie an – und Sly meint daß es immer wieder desillusionierend war, wenn ihr jeweiliger Auftraggeber gerade dann die Geduld verlor, wenn die beiden mal wieder einen radikal neuen Sound ausbaldowern wollten. » Style, das ist vielleicht das meistgebrauchteste Wort in JA, Style spiegelt die ganz^ Launenhaftigkeit und den permanenten Bedarf nach etwas Brandneuem wieder – momentan schreien sich die Hipster nach den neuesten S/aciness-DJ’s die Kehle heiser, also „cocky vs. pussy“, Murder-Style! New Sounds, New Styles, Sly und Robbie reden unablässig davon, heute besitzen sie ihr eigenes Label „Taxi“, produzieren oft selbst und waren glatt imstande, sogar aus Toots und seinen eisgrauen Maytals wieder Teenager-Heroen zu machen. Also: „… wind up your waist! Twist yourface! Sly on the drum & Robbie on the bass…!“ (thanks, Trinity!) L owell Dunbar ist 32, er nennt sich Sly, weil Sly Stone sein erstes Vorbild war, die schneeweiße Wollkappe‘ über seiner symmetrischen Heopatra-Frisur gehört ebenso zu seinen Trademarks wie die kerzengerade, beinahe regungslose Haltung hinter dem riesigen Drumkit. Sly ist ein leutseliger Typ, diszipliniert, diplomatisch, immer ein wenig vorsichtig bei dem, was er sagt (besonders wenn das Tape läuft), er verzichtet nahezu vollständig auf die üblichen J&l’s“, Jahworksund .Selassi /’s* überhaupt auf den ganzen bildlichen und deklamatorischen Rasta-Talk. Wo wir gerade dabei sind: Robbie, um einiges vorlauter und direkter als Sly, hat es mffbei unserem ersten Treffen vor Jahren . einmal unmißverständlich an den Kopf geknallt: .Religion gehört in die Privatsphäre, es ist eine rein persönliche Angelegenheit. Ich habe nicht die geringste Lust darüber zu diskutieren!“ Punkt Auch Sly blockt jede Frage in diese Richtung ab, nicht so v wirsch wie Robbie, aber doch i Entschiedenheit. Seine Mutter starb, als er 15 war, danach kam er bei einer Kühlaggregat-Firma unter, verdiente genau einen IA-Dollar pro Woche und wurde klarer Fall – nach ein paar Monaten entlassen. Und danach*… .Music, Music, Music. weißt du, ich hob nun eben mal kein anderes Hobby“, sagt er ein wenig selbstmitleidig. .Ich interessiere fischen Kingg sy Dunbar an^ » s . garantier^U^ßen ihre Hon« K Pe , e r ?ch!ag^p n Alben vonf r « Fmich zwar für Sport, im Femsehen jedenfalls, aber sogar dabei schmiedeich noch Pläne, denke über neue Varianten nach. Mit anderen Worten … music is lile & lile is riddim …“ Sly ist auf seine Weise phänomenal. Selbst während der stundenlangen Busfahrten mit Black Uhuru (Michael Roses Angst vorm Fliegen führt bisweilen zu über 20-stündigenTrans-Europa-Reisen) dreht sich alles um New Sounds, New Styles. Sly hat fast immer sein tragbares Tapedeck auf dem Schoß – und wenn irgendetwas bislang Ungehörtes auftaucht, dann: „… hey Robbie, achte mal auf die Synthies bei dem neuen Disco-Mix von Junior Giscombe. Da könnten wir doch … ich hab’s … tic, toc, tic, tic, toc… sounds baaad!“ Anschließend entbrennt I dann in der Regel eine ‚hitzige Debatte um die Frage, ob der Einfall nicht doch irgendwann schon mal ausprobiert wurde. Es ist witzig sich dann einzumischen, denn sowohl Sly als auch Robbie haben ein schlechtes Namen- und Zeitgedächtnis. Wenn beispielsweise von Jongtime ago“die Rede ist, dann kann die Session drei Wochen, möglicherweise aber auch schon drei Jahre zurückliegen. Es wäre ja wohl zuviel verlangt, sich an jeden einzelnen Titel, an jedes einzelne Album zu erinnern, meint Sly und lächelt dabei so verlegen wie ein unschuldiger Schulbub. Immerhin – die „hit-riddims“, jedenfalls die meisten, bekommt er noch zusammen, schließlich wird er immer wieder danach gefragt. Ja, er war der Mann hinter Dillingers „Cocaine“, Toshs „Legalize It“, Marleys „Punky Reggae Party“, Althea & Donnas „Uptown Top Ranking“ und und und … Wir spielen seit RIGHT TIME zusammen“, sagt er immer dann, wenn ihn sein Gedächtnis im Stich läßt, „und seitdem stehen wir täglich 25 Stunden im Studio, acht Tage die Woche …“ Ja, Sly ist immer ausgebucht, er hat für nichts und niemanden mehr Zeit“, unterbricht Michael Rose zynisch. „Nicht mal seine eigene Frau bekommt ihn mehr zu Gesicht…!“ Auch wenn da viel Übertreibung im Spiel ist, Sly und Robbies Ausstoß bleibt schier unglaublich: In Nassau profitierten in den vergangenen Monaten von Grace Jones über Joan Armatrading, Ian Dury, Gwen Guthrie bis hin zu James Brown Dutzende von ihren elastischen bass’n’drums-Expertisen, in Kingston … machen wir’s kurz, glauben wir Robbie, der behauptet, daß er und Sly noch immer bei einem guten Drittel des Mainstream-Reggae mitwirken, der in JA veröffentlicht wird. Proben, meinen sie, wären dabei pure Zeitverschwendunq. Sly: “ Wir gehen einfach ins Studio und legen los … every’ting com es just naturally…“ Und um mal ein Beispiel für Ihre Geschwindigkeit zu geben: Die zehn riddim tracks für das Comeback-Album der Paragons hatten die beiden in vier Stunden fix und fertig, das bedeutet … Weltrekord!? „Nein“, amüsiert sich Robbie, „manchmal pakken wir das noch schneller. Sly und ich verstehen uns blind wir denken und handeln wie Zwillingsbrüder, wir könnten im Studio sogar ohne Sprache kommunizieren.“ Brother Trinity: „… introducing Robbie – who makes the riddim feel so hoppy …“ Robert Shakespeare, den sie zur Geburtsstunde des Channel One/Revolutionaries-Sounds noch Rasta-Robbie nannten, lernte das Bass-Spielen bei Aston „Familyman“ Barret, dem Wailersbassie, für Robbie ist er bis heute noch “ The Godfather“. Robbie ist in mancherlei Hinsicht das Gegenteil von Sly. Wenn man ihn selbst nach Unterschiedlichkeiten fragt, verneint er zunächst, denkt dann angestrengt nach – und irgendwann fällt ihm meist doch noch etwas ganz Gravierendes ein (etwa, daß Sly leidenschaftlicher Milchtrinker ist, während er selbst literweise Fruchtsaft in sich hineinschüttet). Robbie ist überaus argwöhnisch, launisch, leicht gekränkt – wenn ihm irgendetwas nicht paßt, reagiert er dickköpfig und trotzig – und mindestens dreimal so stilbewußt wie Sly. Er achtet höllisch genau auf sein Auftreten, mit seiner tief ins Gesicht gezogenen Schirmmütze über den zusammengeknoteten locks, immer von Kopf bis Fuß „militantchic“ versteht sich von selbst, das alles gekonnt auf laisser-faire und ultracool getrimmt. Und Robbie drückt sich nicht um Konfrontationen, hält sich nicht lange, wie Sly, mit tolerantem, manchmal doch arg umständlichem Lavieren auf, beispielsweise wenn es um Peter Tosh geht, der – zumindest vorläufig – mit den beiden nicht mehr rechnen darf. „WANTED DREAD & ALIVE war unser Album „, sagt Robbie verärgert, „unser Sound, unsere Ideen, unsere Arrangements. Tosh kam doch bloß ins Studio ‚weil …na, weil ihm sein Manager gesagt hat, daß es mal wieder an der Zeit wäre, ein neues Album einzuspielen. Erinnerst du dich noch, wie er sich letztes Jahr aus der Affäre zog, wenn irgendwer zu behaupten wagte, daß das Album auf unser Konto geht…?“ Hmm, so metaphorisch eben, wie das Tosh’s Art ist. Er sprach vom „Garten Eden“, in den ihn Jah gesandt habe, um den „Baum der Inspiration“zu suchen, oder so ähnlich … „Baum der Inspiration, daß ich nicht lache“, poltert Robbie los. „Die alberne Story hat er doch jedem aufgebunden. Und kein Wort von uns. Er ist ein Starrkopf, ein verdammter Egoist…“ Ein Starrkopf wie James Brown wahrscheinlich. Eure Zusammenarbeit ist doch letztendlich geplatzt …? „Every’ting cool now“, erwidert Sly in seinem breiten Patois, aber sein Blick verrät, daß halt eben doch nicht alles wunschgemäß gelaufen ist. Also … Sly: „Na ja, er kam halt mit dieser Ich bin der große James Brown und ihr pariert‘-Haltung nach Nassau. Er kam ins Studio und dann …hey, spielt mal ’nen Shuffle! Wir hatten zwei Songs für ihn geschrieben, moderne Songs, aber ihn hat das alles nicht interessiert. Er wollte bloß seinen 60er Groove, J. B.-Style, thesameoldsong, um Himmelswillen nichts Neues!“ Immerhin hätte aber auch J. B. (ganz richtig) festgestellt, daß Sly der größte Drummer unter der Sonne ist, präziser trommelt als ein Metronom, erklärt Robbie stolz. Trotz ihres ewigen Pendeins zwischen Channel One und Compass Point/ Nassau ist es schon erstaunlich, wie genau Sly und Robbie alles beachten, was sich bei den Sound Systems, Talent Contests und DJ-Jamborees abspielt. Ein Auge im Billboard und in funky-America, das andere streetwize in den Dancehalls. Robbie versäumt zwar keine Gelegenheit zu beteuern, wie wichtig es ihm ist, so vielseitig und wenig festgelegt wie möglich zu bleiben, aber wenn es um Prioritäten geht, dann … „roots come first!“ Und das gilt auch für ihr Taxi-Projekt, von dem sich Sly wünscht, daß es mal einen ähnlichen Status erreicht wie Philadelphia International – einflußreich, aber dabei doch überschaubar und familiär. Taxi hat sich einiges vorgenommen in Kingstons Rip-Off-Business, wo tagtäglich Youngster von der Straße in die Studios gelotst werden, ein paar Singles aufnehmen und von ihren „Produzenten“ (in JA immer mit den Geldgebern identisch) fallengelassen werden, sobald ein Song floppt. „Unsere Sänger sollen längere Zeit top ranking bleiben „, sagt Sly. , Wir haben die Tamlins, Jimmy Riley und, und, wen sonst noch …?““ Unseren ureigenen Sound“, ergänzt Robbie, „undden kann niemandkopieren, weil er sich permanent ändert…“ Also doch so etwas wie eine Berufung, ständig New Sounds, New Styles… „Nein“, schüttelt Robbie den Kopf, „so kompliziert kannst du das nicht ausdrücken. Wir sind einfach schnell gelangweilt, das ist alles. Yeah, me cyaan bear one fingtoolong …“